Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


ses gute und böse Herz aus; wer ließ solche Eräugnisse zu, daß der Mensch mit wenigerer Anlage des Herzens -- nothwendig noch schlimmer werden mußte? Sehen Sie hier die Klippe, woran ich scheitere; die mich mit Zweifel gegen die allgemeine Güte Gottes erfüllt. "Sie gehören zum Ganzen" sagt der Philosoph. Gut! so sind sie nöthig und können also unmöglich ganz verworfen werden. -- Aber auch dieß ist ja schon Unglück für sie, und scheint es nicht eine gewisse Partheilichkeit in der freien Willkühr Gottes anzukündigen? Wer befreiet mich von diesem Zweifel? Und selbst die Erfahrung scheint zu bestätigen, daß das gute, so wie das böse Herz angeboren wird; denn wird nicht das gute Herz auch bei seinen gröbsten Vergehungen einen Schimmer desselben blicken lassen? Wird es so tief sinken, daß es so wie das böse, einen wirklichen Wohlgefallen an seinen Lastern, eine gewisse Schadenfreude dabei empfinden wird? Menschen zu quälen; aus Lust sie zu quälen, dazu gehört der größte Grad von Bosheit, deren ein gutes Herz nicht fähig ist. Obiger Zweifel hat vielen Einfluß in mein künftiges Leben gehabt: denn ich habe mich nie zu demjenigen Vertrauen auf die göttliche Güte und ihre allgemeine Vorsorge erheben können, welches die Religion verlangt. Meine besondern Schicksaale, meine so vielfältig fehlgeschlagenen Hofnungen, und mein anhaltendes Elend haben auch viel dazu beigetragen.



ses gute und boͤse Herz aus; wer ließ solche Eraͤugnisse zu, daß der Mensch mit wenigerer Anlage des Herzens — nothwendig noch schlimmer werden mußte? Sehen Sie hier die Klippe, woran ich scheitere; die mich mit Zweifel gegen die allgemeine Guͤte Gottes erfuͤllt. »Sie gehoͤren zum Ganzen« sagt der Philosoph. Gut! so sind sie noͤthig und koͤnnen also unmoͤglich ganz verworfen werden. — Aber auch dieß ist ja schon Ungluͤck fuͤr sie, und scheint es nicht eine gewisse Partheilichkeit in der freien Willkuͤhr Gottes anzukuͤndigen? Wer befreiet mich von diesem Zweifel? Und selbst die Erfahrung scheint zu bestaͤtigen, daß das gute, so wie das boͤse Herz angeboren wird; denn wird nicht das gute Herz auch bei seinen groͤbsten Vergehungen einen Schimmer desselben blicken lassen? Wird es so tief sinken, daß es so wie das boͤse, einen wirklichen Wohlgefallen an seinen Lastern, eine gewisse Schadenfreude dabei empfinden wird? Menschen zu quaͤlen; aus Lust sie zu quaͤlen, dazu gehoͤrt der groͤßte Grad von Bosheit, deren ein gutes Herz nicht faͤhig ist. Obiger Zweifel hat vielen Einfluß in mein kuͤnftiges Leben gehabt: denn ich habe mich nie zu demjenigen Vertrauen auf die goͤttliche Guͤte und ihre allgemeine Vorsorge erheben koͤnnen, welches die Religion verlangt. Meine besondern Schicksaale, meine so vielfaͤltig fehlgeschlagenen Hofnungen, und mein anhaltendes Elend haben auch viel dazu beigetragen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0014" n="12"/><lb/>
ses gute und bo&#x0364;se Herz aus; wer ließ solche Era&#x0364;ugnisse zu, daß der                   Mensch mit wenigerer Anlage des Herzens &#x2014; nothwendig noch schlimmer werden mußte?                   Sehen Sie hier die Klippe, woran ich scheitere; die mich mit Zweifel gegen die                   allgemeine Gu&#x0364;te Gottes erfu&#x0364;llt. »Sie geho&#x0364;ren zum Ganzen« sagt der Philosoph. Gut!                   so sind sie no&#x0364;thig und ko&#x0364;nnen also unmo&#x0364;glich ganz verworfen werden. &#x2014; Aber auch                   dieß ist ja schon Unglu&#x0364;ck fu&#x0364;r sie, und scheint es nicht eine gewisse                   Partheilichkeit in der freien Willku&#x0364;hr Gottes anzuku&#x0364;ndigen? Wer befreiet mich von                   diesem Zweifel? Und selbst die Erfahrung scheint zu besta&#x0364;tigen, daß das gute, so                   wie das bo&#x0364;se Herz angeboren wird; denn wird nicht das gute Herz auch bei seinen                   gro&#x0364;bsten Vergehungen einen Schimmer desselben blicken lassen? Wird es so tief                   sinken, daß es so wie das bo&#x0364;se, einen wirklichen Wohlgefallen an seinen Lastern,                   eine gewisse Schadenfreude dabei empfinden wird? Menschen zu qua&#x0364;len; aus Lust sie                   zu qua&#x0364;len, dazu geho&#x0364;rt der gro&#x0364;ßte Grad von Bosheit, deren ein gutes Herz nicht                   fa&#x0364;hig ist. Obiger Zweifel hat vielen Einfluß in mein ku&#x0364;nftiges Leben gehabt: denn                   ich habe mich nie zu demjenigen Vertrauen auf die go&#x0364;ttliche Gu&#x0364;te und ihre                   allgemeine Vorsorge erheben ko&#x0364;nnen, welches die Religion verlangt. Meine besondern                   Schicksaale, meine so vielfa&#x0364;ltig fehlgeschlagenen Hofnungen, und mein anhaltendes                   Elend haben auch viel dazu beigetragen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0014] ses gute und boͤse Herz aus; wer ließ solche Eraͤugnisse zu, daß der Mensch mit wenigerer Anlage des Herzens — nothwendig noch schlimmer werden mußte? Sehen Sie hier die Klippe, woran ich scheitere; die mich mit Zweifel gegen die allgemeine Guͤte Gottes erfuͤllt. »Sie gehoͤren zum Ganzen« sagt der Philosoph. Gut! so sind sie noͤthig und koͤnnen also unmoͤglich ganz verworfen werden. — Aber auch dieß ist ja schon Ungluͤck fuͤr sie, und scheint es nicht eine gewisse Partheilichkeit in der freien Willkuͤhr Gottes anzukuͤndigen? Wer befreiet mich von diesem Zweifel? Und selbst die Erfahrung scheint zu bestaͤtigen, daß das gute, so wie das boͤse Herz angeboren wird; denn wird nicht das gute Herz auch bei seinen groͤbsten Vergehungen einen Schimmer desselben blicken lassen? Wird es so tief sinken, daß es so wie das boͤse, einen wirklichen Wohlgefallen an seinen Lastern, eine gewisse Schadenfreude dabei empfinden wird? Menschen zu quaͤlen; aus Lust sie zu quaͤlen, dazu gehoͤrt der groͤßte Grad von Bosheit, deren ein gutes Herz nicht faͤhig ist. Obiger Zweifel hat vielen Einfluß in mein kuͤnftiges Leben gehabt: denn ich habe mich nie zu demjenigen Vertrauen auf die goͤttliche Guͤte und ihre allgemeine Vorsorge erheben koͤnnen, welches die Religion verlangt. Meine besondern Schicksaale, meine so vielfaͤltig fehlgeschlagenen Hofnungen, und mein anhaltendes Elend haben auch viel dazu beigetragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/14
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/14>, abgerufen am 03.12.2024.