Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


sich zwischen Eheleute zu mischen, ohne eine gewisse Verbindlichkeit zu reden zu haben, auch eine sehr delikate Sache ist, und überdem von seinem Charakter wahrscheinlich urtheilen konnte, daß er wenig Widerspruch vertragen würde, so ließ ichs dabei bewenden, bloß ihr willige Ertragung ihrer Leiden anzurathen.

Man erlaube mir, ehe ich meine Geschichte weiter fortsetze, daß ich einige Zweifel gegen die allgemeine Güte und Vorsehung Gottes, worauf ich durch das Schicksaal dieser Unglücklichen gebracht wurde, darlege. Zuerst fiel ich auf das gewöhnliche Sprichwort: die Ehen werden im Himmel geschlossen. Jst dieses ohne die geringste Einschränkung wahr, so findet eine Vorherbestimmung statt; so mußte der Bruder just immer das Werkzeug werden, wodurch eine vielleicht glückliche Verbindung nicht an sie kommen durfte; so mußte sie am Ende aus Verzweiflung diesen Menschen heirathen. Und das ist die sogenannte Freiheit des Menschen? Es scheint ja wirklich, als wenn die Freiheit zu handeln, nur so lange statt fände, als sie dem Laufe des Ganzen nicht hinderlich fällt. Also eine Vorsehung übers Ganze und nicht über jeden einzeln Theil? O du Unglücklicher! so ist dein Vertrauen auf Gott in den unglücklichsten Lagen deines Lebens nur so lange anwendbar, als deine Hülfe, oder die Aendrung deines Schicksaals, das du erwartest; oft unter Gebet und Thränen


sich zwischen Eheleute zu mischen, ohne eine gewisse Verbindlichkeit zu reden zu haben, auch eine sehr delikate Sache ist, und uͤberdem von seinem Charakter wahrscheinlich urtheilen konnte, daß er wenig Widerspruch vertragen wuͤrde, so ließ ichs dabei bewenden, bloß ihr willige Ertragung ihrer Leiden anzurathen.

Man erlaube mir, ehe ich meine Geschichte weiter fortsetze, daß ich einige Zweifel gegen die allgemeine Guͤte und Vorsehung Gottes, worauf ich durch das Schicksaal dieser Ungluͤcklichen gebracht wurde, darlege. Zuerst fiel ich auf das gewoͤhnliche Sprichwort: die Ehen werden im Himmel geschlossen. Jst dieses ohne die geringste Einschraͤnkung wahr, so findet eine Vorherbestimmung statt; so mußte der Bruder just immer das Werkzeug werden, wodurch eine vielleicht gluͤckliche Verbindung nicht an sie kommen durfte; so mußte sie am Ende aus Verzweiflung diesen Menschen heirathen. Und das ist die sogenannte Freiheit des Menschen? Es scheint ja wirklich, als wenn die Freiheit zu handeln, nur so lange statt faͤnde, als sie dem Laufe des Ganzen nicht hinderlich faͤllt. Also eine Vorsehung uͤbers Ganze und nicht uͤber jeden einzeln Theil? O du Ungluͤcklicher! so ist dein Vertrauen auf Gott in den ungluͤcklichsten Lagen deines Lebens nur so lange anwendbar, als deine Huͤlfe, oder die Aendrung deines Schicksaals, das du erwartest; oft unter Gebet und Thraͤnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0034" n="32"/><lb/>
sich zwischen Eheleute                   zu mischen, ohne eine gewisse Verbindlichkeit zu reden zu haben, auch eine sehr                   delikate Sache ist, und u&#x0364;berdem von seinem Charakter wahrscheinlich urtheilen                   konnte, daß er wenig Widerspruch vertragen wu&#x0364;rde, so ließ ichs dabei bewenden,                   bloß ihr willige Ertragung ihrer Leiden anzurathen.</p>
            <p>Man erlaube mir, ehe ich meine Geschichte weiter fortsetze, daß ich einige Zweifel                   gegen die allgemeine Gu&#x0364;te und Vorsehung Gottes, worauf ich durch das Schicksaal                   dieser Unglu&#x0364;cklichen gebracht wurde, darlege. Zuerst fiel ich auf das gewo&#x0364;hnliche                   Sprichwort: die Ehen werden im Himmel geschlossen. Jst dieses ohne die geringste                   Einschra&#x0364;nkung wahr, so findet eine Vorherbestimmung statt; so mußte der Bruder                   just immer das Werkzeug werden, wodurch eine vielleicht glu&#x0364;ckliche Verbindung                   nicht an sie kommen durfte; so mußte sie am Ende aus Verzweiflung diesen Menschen                   heirathen. Und das ist die sogenannte Freiheit des Menschen? Es scheint ja                   wirklich, als wenn die Freiheit zu handeln, nur so lange statt fa&#x0364;nde, als sie dem                   Laufe des Ganzen nicht hinderlich fa&#x0364;llt. Also eine Vorsehung u&#x0364;bers Ganze und nicht                   u&#x0364;ber jeden einzeln Theil? O du Unglu&#x0364;cklicher! so ist dein Vertrauen auf Gott in                   den unglu&#x0364;cklichsten Lagen deines Lebens nur so lange anwendbar, als deine Hu&#x0364;lfe,                   oder die Aendrung deines Schicksaals, das du erwartest; oft unter Gebet und                   Thra&#x0364;nen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0034] sich zwischen Eheleute zu mischen, ohne eine gewisse Verbindlichkeit zu reden zu haben, auch eine sehr delikate Sache ist, und uͤberdem von seinem Charakter wahrscheinlich urtheilen konnte, daß er wenig Widerspruch vertragen wuͤrde, so ließ ichs dabei bewenden, bloß ihr willige Ertragung ihrer Leiden anzurathen. Man erlaube mir, ehe ich meine Geschichte weiter fortsetze, daß ich einige Zweifel gegen die allgemeine Guͤte und Vorsehung Gottes, worauf ich durch das Schicksaal dieser Ungluͤcklichen gebracht wurde, darlege. Zuerst fiel ich auf das gewoͤhnliche Sprichwort: die Ehen werden im Himmel geschlossen. Jst dieses ohne die geringste Einschraͤnkung wahr, so findet eine Vorherbestimmung statt; so mußte der Bruder just immer das Werkzeug werden, wodurch eine vielleicht gluͤckliche Verbindung nicht an sie kommen durfte; so mußte sie am Ende aus Verzweiflung diesen Menschen heirathen. Und das ist die sogenannte Freiheit des Menschen? Es scheint ja wirklich, als wenn die Freiheit zu handeln, nur so lange statt faͤnde, als sie dem Laufe des Ganzen nicht hinderlich faͤllt. Also eine Vorsehung uͤbers Ganze und nicht uͤber jeden einzeln Theil? O du Ungluͤcklicher! so ist dein Vertrauen auf Gott in den ungluͤcklichsten Lagen deines Lebens nur so lange anwendbar, als deine Huͤlfe, oder die Aendrung deines Schicksaals, das du erwartest; oft unter Gebet und Thraͤnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/34
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/34>, abgerufen am 23.11.2024.