Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


fahr zu setzen. Doch die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Da ich sie einst wieder beide an dem Orte traf, wo ich sie hatte kennen lernen, so suchte ich ihm Rede anzugewinnen. Jch hatte gehört, daß er gern Bücher von gewöhnlicher Art las; ich lenkte daher das Gespräch dahin. Er wurde bald gesprächig. Jch versprach ihm einige Bücher nach seinem Geschmack zu verschaffen, und -- er bat mich zu sich.

Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden länger und -- Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben möchte, ihn des Abends besuchen zu dürfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem häuslichen Verhältniß -- näher beobachten, um wo möglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch überzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu können, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestümer Charakter schon äusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwünschte.



fahr zu setzen. Doch die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Da ich sie einst wieder beide an dem Orte traf, wo ich sie hatte kennen lernen, so suchte ich ihm Rede anzugewinnen. Jch hatte gehoͤrt, daß er gern Buͤcher von gewoͤhnlicher Art las; ich lenkte daher das Gespraͤch dahin. Er wurde bald gespraͤchig. Jch versprach ihm einige Buͤcher nach seinem Geschmack zu verschaffen, und — er bat mich zu sich.

Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden laͤnger und — Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben moͤchte, ihn des Abends besuchen zu duͤrfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem haͤuslichen Verhaͤltniß — naͤher beobachten, um wo moͤglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch uͤberzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu koͤnnen, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestuͤmer Charakter schon aͤusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwuͤnschte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0040" n="38"/><lb/>
fahr zu setzen. Doch die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Da ich                   sie einst wieder beide an dem Orte traf, wo ich sie hatte kennen lernen, so suchte                   ich ihm Rede anzugewinnen. Jch hatte geho&#x0364;rt, daß er gern Bu&#x0364;cher von gewo&#x0364;hnlicher                   Art las; ich lenkte daher das Gespra&#x0364;ch dahin. Er wurde bald gespra&#x0364;chig. Jch                   versprach ihm einige Bu&#x0364;cher nach seinem Geschmack zu verschaffen, und &#x2014; er bat                   mich zu sich. </p>
            <p>Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die                   Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden                   la&#x0364;nger und &#x2014; Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben                   mo&#x0364;chte, ihn des Abends besuchen zu du&#x0364;rfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch                   hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem                   ha&#x0364;uslichen Verha&#x0364;ltniß &#x2014; na&#x0364;her beobachten, um wo mo&#x0364;glich bei ihren Zwisten ein Wort                   des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich                   wurde auch u&#x0364;berzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig                   Widerspruch vertragen zu ko&#x0364;nnen, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da                   gewesen, als sich sein hitziger ungestu&#x0364;mer Charakter schon a&#x0364;usserte. Sie schwieg                   mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine                   solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwu&#x0364;nschte.</p>
            <p><lb/>
            </p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0040] fahr zu setzen. Doch die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Da ich sie einst wieder beide an dem Orte traf, wo ich sie hatte kennen lernen, so suchte ich ihm Rede anzugewinnen. Jch hatte gehoͤrt, daß er gern Buͤcher von gewoͤhnlicher Art las; ich lenkte daher das Gespraͤch dahin. Er wurde bald gespraͤchig. Jch versprach ihm einige Buͤcher nach seinem Geschmack zu verschaffen, und — er bat mich zu sich. Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden laͤnger und — Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben moͤchte, ihn des Abends besuchen zu duͤrfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem haͤuslichen Verhaͤltniß — naͤher beobachten, um wo moͤglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch uͤberzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu koͤnnen, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestuͤmer Charakter schon aͤusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwuͤnschte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/40
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/40>, abgerufen am 03.12.2024.