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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Rauschen meines Fußes in denselben war mir etwas schreckhaft, und noch jetzt gehe ich nicht gern durch einen Haufen zusammengewehter Blätter. Jch weiß noch eben, wie ich unter dem Baume dastand, und mit einer gewissen Wehmut in die halb entblätterten Aeste lange Zeit hinauf sahe, bis mein Bruder hinzu kam und mich nach Hause rief.

Diese Erzählung soll mir zu einer und der andern Folgerung Anlas geben.

Erstlich. Diese Verse von dem einfachen Gesänge begleitet, rührten mich, drückten sich mir ein, ich hatte Wohlgefallen an ihrer Wiederholung. Wie kams, daß ich von alle dem, was ich die übrigen Vormittagsstunden gehört und gesehen, -- doch nein, was mir eingebläut worden war, nichts behielt und noch weniger jetzt das Geringste davon weiß, da hingegen ich mir jene Scene lebhaft, bis auf jede Kleinigkeit vormalen und nachempfinden kann, was ich damals empfand? Ohne Zweifel, weil die Worte simpel, verständlich und -- bildlich waren. Jch habe nachher mit unglaublicher Anstrengung Vokabeln und grammatikalische Regeln, und noch dazu in Versen gelernt, und konnte sie unter dem aufgehobenen Zepter meines despotischen Schulmonarchen ohne Anstoß hersagen. Aber ich


Rauschen meines Fußes in denselben war mir etwas schreckhaft, und noch jetzt gehe ich nicht gern durch einen Haufen zusammengewehter Blaͤtter. Jch weiß noch eben, wie ich unter dem Baume dastand, und mit einer gewissen Wehmut in die halb entblaͤtterten Aeste lange Zeit hinauf sahe, bis mein Bruder hinzu kam und mich nach Hause rief.

Diese Erzaͤhlung soll mir zu einer und der andern Folgerung Anlas geben.

Erstlich. Diese Verse von dem einfachen Gesaͤnge begleitet, ruͤhrten mich, druͤckten sich mir ein, ich hatte Wohlgefallen an ihrer Wiederholung. Wie kams, daß ich von alle dem, was ich die uͤbrigen Vormittagsstunden gehoͤrt und gesehen, — doch nein, was mir eingeblaͤut worden war, nichts behielt und noch weniger jetzt das Geringste davon weiß, da hingegen ich mir jene Scene lebhaft, bis auf jede Kleinigkeit vormalen und nachempfinden kann, was ich damals empfand? Ohne Zweifel, weil die Worte simpel, verstaͤndlich und — bildlich waren. Jch habe nachher mit unglaublicher Anstrengung Vokabeln und grammatikalische Regeln, und noch dazu in Versen gelernt, und konnte sie unter dem aufgehobenen Zepter meines despotischen Schulmonarchen ohne Anstoß hersagen. Aber ich

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[107/0107] Rauschen meines Fußes in denselben war mir etwas schreckhaft, und noch jetzt gehe ich nicht gern durch einen Haufen zusammengewehter Blaͤtter. Jch weiß noch eben, wie ich unter dem Baume dastand, und mit einer gewissen Wehmut in die halb entblaͤtterten Aeste lange Zeit hinauf sahe, bis mein Bruder hinzu kam und mich nach Hause rief. Diese Erzaͤhlung soll mir zu einer und der andern Folgerung Anlas geben. Erstlich. Diese Verse von dem einfachen Gesaͤnge begleitet, ruͤhrten mich, druͤckten sich mir ein, ich hatte Wohlgefallen an ihrer Wiederholung. Wie kams, daß ich von alle dem, was ich die uͤbrigen Vormittagsstunden gehoͤrt und gesehen, — doch nein, was mir eingeblaͤut worden war, nichts behielt und noch weniger jetzt das Geringste davon weiß, da hingegen ich mir jene Scene lebhaft, bis auf jede Kleinigkeit vormalen und nachempfinden kann, was ich damals empfand? Ohne Zweifel, weil die Worte simpel, verstaͤndlich und — bildlich waren. Jch habe nachher mit unglaublicher Anstrengung Vokabeln und grammatikalische Regeln, und noch dazu in Versen gelernt, und konnte sie unter dem aufgehobenen Zepter meines despotischen Schulmonarchen ohne Anstoß hersagen. Aber ich

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/107>, abgerufen am 27.11.2024.