Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Nachdem diese Zufälle auf das höchste gestiegen waren, so entstand eine solche Trägheit und Schwäche des ganzen Körpers, daß eine starke Traurigkeit und Tiefsinnigkeit des Gemüthes sich einfand, wodurch alle innere Verrichtungen des Nachdenkens, Ueberlegens, Beurtheilens unordentlich wurden, auch faßte er sogar einigemal den Entschluß, durch Strick und Messer sich dieses traurigen Zustandes zu entledigen. Die hiergegen angewandten Mittel des Arztes übergehe ich, unter der bloßen Anzeige, daß ihm, da er zu keiner Aderlaß die ersten acht Wochen zu bringen war, als er es endlich geschehen ließ, nachhero wahrscheinlicherweise zu viel Blut abgezapfet worden ist. Nach einem beinahe viermonathlichen Gebrauch erweichender und verdünnender Arzeneyen, verbunden mit einer Nelken- und Seydschützerwasserkur, ließen die körperlichen Beschwerden nach, und die Seelenkräfte wurden wieder stärker: aber, so wie während dieser Krankheit, Tiefsinn und Niedergeschlagenheit groß gewesen waren, entstand alsdann in einem kurzen Zeitpunkt eine solche Abwechselung hierin, daß eben eine so grosse Lebhaftigkeit des Geistes, Zufriedenheit, Freude und Vergnügen über das gewöhnliche ihm sonst eigenthümliche Maaß an deren Stelle trat. Man hielt diesen Zustand anfänglich für natürlich; und um gewahr zu werden, ob er von Dauer Nachdem diese Zufaͤlle auf das hoͤchste gestiegen waren, so entstand eine solche Traͤgheit und Schwaͤche des ganzen Koͤrpers, daß eine starke Traurigkeit und Tiefsinnigkeit des Gemuͤthes sich einfand, wodurch alle innere Verrichtungen des Nachdenkens, Ueberlegens, Beurtheilens unordentlich wurden, auch faßte er sogar einigemal den Entschluß, durch Strick und Messer sich dieses traurigen Zustandes zu entledigen. Die hiergegen angewandten Mittel des Arztes uͤbergehe ich, unter der bloßen Anzeige, daß ihm, da er zu keiner Aderlaß die ersten acht Wochen zu bringen war, als er es endlich geschehen ließ, nachhero wahrscheinlicherweise zu viel Blut abgezapfet worden ist. Nach einem beinahe viermonathlichen Gebrauch erweichender und verduͤnnender Arzeneyen, verbunden mit einer Nelken- und Seydschuͤtzerwasserkur, ließen die koͤrperlichen Beschwerden nach, und die Seelenkraͤfte wurden wieder staͤrker: aber, so wie waͤhrend dieser Krankheit, Tiefsinn und Niedergeschlagenheit groß gewesen waren, entstand alsdann in einem kurzen Zeitpunkt eine solche Abwechselung hierin, daß eben eine so grosse Lebhaftigkeit des Geistes, Zufriedenheit, Freude und Vergnuͤgen uͤber das gewoͤhnliche ihm sonst eigenthuͤmliche Maaß an deren Stelle trat. Man hielt diesen Zustand anfaͤnglich fuͤr natuͤrlich; und um gewahr zu werden, ob er von Dauer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0016" n="16"/><lb/> <p>Nachdem diese Zufaͤlle auf das hoͤchste gestiegen waren, so entstand eine solche Traͤgheit und Schwaͤche des ganzen Koͤrpers, daß eine starke Traurigkeit und Tiefsinnigkeit des Gemuͤthes sich einfand, wodurch alle innere Verrichtungen des Nachdenkens, Ueberlegens, Beurtheilens unordentlich wurden, auch faßte er sogar einigemal den Entschluß, durch Strick und Messer sich dieses traurigen Zustandes zu entledigen. </p> <p>Die hiergegen angewandten Mittel des Arztes uͤbergehe ich, unter der bloßen Anzeige, daß ihm, da er zu keiner Aderlaß die ersten acht Wochen zu bringen war, als er es endlich geschehen ließ, nachhero wahrscheinlicherweise zu viel Blut abgezapfet worden ist. </p> <p>Nach einem beinahe viermonathlichen Gebrauch erweichender und verduͤnnender Arzeneyen, verbunden mit einer Nelken- und Seydschuͤtzerwasserkur, ließen die koͤrperlichen Beschwerden nach, und die Seelenkraͤfte wurden wieder staͤrker: aber, so wie waͤhrend dieser Krankheit, Tiefsinn und Niedergeschlagenheit groß gewesen waren, entstand alsdann in einem kurzen Zeitpunkt eine solche Abwechselung hierin, daß eben eine so grosse Lebhaftigkeit des Geistes, Zufriedenheit, Freude und Vergnuͤgen uͤber das gewoͤhnliche ihm sonst eigenthuͤmliche Maaß an deren Stelle trat. </p> <p>Man hielt diesen Zustand anfaͤnglich fuͤr natuͤrlich; und um gewahr zu werden, ob er von Dauer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0016]
Nachdem diese Zufaͤlle auf das hoͤchste gestiegen waren, so entstand eine solche Traͤgheit und Schwaͤche des ganzen Koͤrpers, daß eine starke Traurigkeit und Tiefsinnigkeit des Gemuͤthes sich einfand, wodurch alle innere Verrichtungen des Nachdenkens, Ueberlegens, Beurtheilens unordentlich wurden, auch faßte er sogar einigemal den Entschluß, durch Strick und Messer sich dieses traurigen Zustandes zu entledigen.
Die hiergegen angewandten Mittel des Arztes uͤbergehe ich, unter der bloßen Anzeige, daß ihm, da er zu keiner Aderlaß die ersten acht Wochen zu bringen war, als er es endlich geschehen ließ, nachhero wahrscheinlicherweise zu viel Blut abgezapfet worden ist.
Nach einem beinahe viermonathlichen Gebrauch erweichender und verduͤnnender Arzeneyen, verbunden mit einer Nelken- und Seydschuͤtzerwasserkur, ließen die koͤrperlichen Beschwerden nach, und die Seelenkraͤfte wurden wieder staͤrker: aber, so wie waͤhrend dieser Krankheit, Tiefsinn und Niedergeschlagenheit groß gewesen waren, entstand alsdann in einem kurzen Zeitpunkt eine solche Abwechselung hierin, daß eben eine so grosse Lebhaftigkeit des Geistes, Zufriedenheit, Freude und Vergnuͤgen uͤber das gewoͤhnliche ihm sonst eigenthuͤmliche Maaß an deren Stelle trat.
Man hielt diesen Zustand anfaͤnglich fuͤr natuͤrlich; und um gewahr zu werden, ob er von Dauer
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/16>, abgerufen am 16.07.2024. |