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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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und 4) als ich schon im Genesen war, aus der Mannichfaltigkeit, welche ich in die Einförmigkeit meiner Beschäftigungen, nebst etwas Ordnung und Zweck, gebracht hatte. -- Eine von den möglichen beschwerlichen Folgen kehrte ich sogar in etwas Angenehmes um: nemlich die, vielleicht lange, vielleicht stetsanhaltende Entäußerung von manchen Genüssen des Lebens.

Mir hatte schon lange vorher das Beispiel des Mannes, der sich mit der größten Diät seine Unzen Nahrung zuwog, beneidenswürdig geschienen. Ein Hauptgrund dagegen war: es möchte der Körper im Ganzen wohl gesund, und den Geist behaglich erhalten, aber beide schwächen. Allein jezt, da es nothwendig ward, fielen alle Gründe dagegen weg, und ich weidete nun meinen Blick mit der Aussicht in ein Leben voll Geistesbehaglichkeit mit ein paar leicht verschmerzten sinnlichen Aufopferungen erkauft.

Bei aller Jndifferenz (ich weiß kein bessers Wort) aber war die Empfindlichkeit erstaunlich. Wer nur schnell, nicht einmal laut, redete, brachte meinen Puls gleich in Unordnung. Der bloße Anblick von mehr als höchstens drei Personen in meiner Kammer erhitzte mich. Diese so hochgespannte Empfindlichkeit hatte noch eine andre Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu machen; gleich klei-


und 4) als ich schon im Genesen war, aus der Mannichfaltigkeit, welche ich in die Einfoͤrmigkeit meiner Beschaͤftigungen, nebst etwas Ordnung und Zweck, gebracht hatte. — Eine von den moͤglichen beschwerlichen Folgen kehrte ich sogar in etwas Angenehmes um: nemlich die, vielleicht lange, vielleicht stetsanhaltende Entaͤußerung von manchen Genuͤssen des Lebens.

Mir hatte schon lange vorher das Beispiel des Mannes, der sich mit der groͤßten Diaͤt seine Unzen Nahrung zuwog, beneidenswuͤrdig geschienen. Ein Hauptgrund dagegen war: es moͤchte der Koͤrper im Ganzen wohl gesund, und den Geist behaglich erhalten, aber beide schwaͤchen. Allein jezt, da es nothwendig ward, fielen alle Gruͤnde dagegen weg, und ich weidete nun meinen Blick mit der Aussicht in ein Leben voll Geistesbehaglichkeit mit ein paar leicht verschmerzten sinnlichen Aufopferungen erkauft.

Bei aller Jndifferenz (ich weiß kein bessers Wort) aber war die Empfindlichkeit erstaunlich. Wer nur schnell, nicht einmal laut, redete, brachte meinen Puls gleich in Unordnung. Der bloße Anblick von mehr als hoͤchstens drei Personen in meiner Kammer erhitzte mich. Diese so hochgespannte Empfindlichkeit hatte noch eine andre Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu machen; gleich klei-

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[73/0073] und 4) als ich schon im Genesen war, aus der Mannichfaltigkeit, welche ich in die Einfoͤrmigkeit meiner Beschaͤftigungen, nebst etwas Ordnung und Zweck, gebracht hatte. — Eine von den moͤglichen beschwerlichen Folgen kehrte ich sogar in etwas Angenehmes um: nemlich die, vielleicht lange, vielleicht stetsanhaltende Entaͤußerung von manchen Genuͤssen des Lebens. Mir hatte schon lange vorher das Beispiel des Mannes, der sich mit der groͤßten Diaͤt seine Unzen Nahrung zuwog, beneidenswuͤrdig geschienen. Ein Hauptgrund dagegen war: es moͤchte der Koͤrper im Ganzen wohl gesund, und den Geist behaglich erhalten, aber beide schwaͤchen. Allein jezt, da es nothwendig ward, fielen alle Gruͤnde dagegen weg, und ich weidete nun meinen Blick mit der Aussicht in ein Leben voll Geistesbehaglichkeit mit ein paar leicht verschmerzten sinnlichen Aufopferungen erkauft. Bei aller Jndifferenz (ich weiß kein bessers Wort) aber war die Empfindlichkeit erstaunlich. Wer nur schnell, nicht einmal laut, redete, brachte meinen Puls gleich in Unordnung. Der bloße Anblick von mehr als hoͤchstens drei Personen in meiner Kammer erhitzte mich. Diese so hochgespannte Empfindlichkeit hatte noch eine andre Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu machen; gleich klei-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/73>, abgerufen am 15.05.2024.