Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Was ich von den Vorstellungen dieser Nacht noch herausbringen kann, ist etwa dieß: Zur Genesung war alle Hofnung verschwunden, und des nahen gewissen Todes Bild schwebte mir vor. Hier kamen einige verwickelte Phänomene zum Vorschein. Wenn ich die Frage aufwarf: ob ich lieber jetzt sterben, oder meinen siechen Körper noch ein halb Jahr hinschleppen wollte? so wählte ich gleich mit Empressement das Letztre. Die Todesfurcht schien also ganz die Oberhand zu haben. Analysirte ich aber diese Wahl weiter, so fand ich, daß meine Seele nicht den Tod heut und den Tod nach einem Jahr verglichen hatte, sondern es ging so zu: Sie dachte sich einen Schwindsüchtigen, freilich mit vielen Unbequemlichkeiten dem Grabe entgegenschleichend, der aber doch ein wenig reden, ein wenig gehen, ein wenig sich bewegen konnte. Jch hingegen lag, ohne Hand oder Fuß regen, ohne ein Wort reden zu dürfen, in der unbequemsten Stellung, die mir an manchen Orten empfindliche Schmerzen machte; mein Athem drängte sich durch die beklemmte Brust, und in dieser Verfassung sollte ich die Ankunft des Todes erwarten. Da war das Bild dessen, der doch ein wenig mehr Freiheit hatte als ich, offenbar angenehmer. Bald präsentirte sich der Tod in einer andern Gestalt als Ende aller Unbequemlichkeiten und Besorgnisse. Jch fing wieder an zu husten, ein throm- Was ich von den Vorstellungen dieser Nacht noch herausbringen kann, ist etwa dieß: Zur Genesung war alle Hofnung verschwunden, und des nahen gewissen Todes Bild schwebte mir vor. Hier kamen einige verwickelte Phaͤnomene zum Vorschein. Wenn ich die Frage aufwarf: ob ich lieber jetzt sterben, oder meinen siechen Koͤrper noch ein halb Jahr hinschleppen wollte? so waͤhlte ich gleich mit Empressement das Letztre. Die Todesfurcht schien also ganz die Oberhand zu haben. Analysirte ich aber diese Wahl weiter, so fand ich, daß meine Seele nicht den Tod heut und den Tod nach einem Jahr verglichen hatte, sondern es ging so zu: Sie dachte sich einen Schwindsuͤchtigen, freilich mit vielen Unbequemlichkeiten dem Grabe entgegenschleichend, der aber doch ein wenig reden, ein wenig gehen, ein wenig sich bewegen konnte. Jch hingegen lag, ohne Hand oder Fuß regen, ohne ein Wort reden zu duͤrfen, in der unbequemsten Stellung, die mir an manchen Orten empfindliche Schmerzen machte; mein Athem draͤngte sich durch die beklemmte Brust, und in dieser Verfassung sollte ich die Ankunft des Todes erwarten. Da war das Bild dessen, der doch ein wenig mehr Freiheit hatte als ich, offenbar angenehmer. Bald praͤsentirte sich der Tod in einer andern Gestalt als Ende aller Unbequemlichkeiten und Besorgnisse. Jch fing wieder an zu husten, ein throm- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0077" n="77"/><lb/> <p>Was ich von den Vorstellungen dieser Nacht noch herausbringen kann, ist etwa dieß: Zur Genesung war alle Hofnung verschwunden, und des nahen gewissen Todes Bild schwebte mir vor. Hier kamen einige verwickelte Phaͤnomene zum Vorschein. Wenn ich die Frage aufwarf: ob ich lieber jetzt sterben, oder meinen siechen Koͤrper noch ein halb Jahr hinschleppen wollte? so waͤhlte ich gleich mit Empressement das Letztre. </p> <p>Die <hi rendition="#b">Todesfurcht</hi> schien also ganz die Oberhand zu haben. Analysirte ich aber diese Wahl weiter, so fand ich, daß meine Seele nicht den <hi rendition="#b">Tod heut</hi> und den <hi rendition="#b">Tod nach einem Jahr</hi> verglichen hatte, sondern es ging so zu: Sie dachte sich einen Schwindsuͤchtigen, freilich mit vielen Unbequemlichkeiten dem Grabe entgegenschleichend, der aber doch ein wenig reden, ein wenig gehen, ein wenig sich bewegen konnte. Jch hingegen lag, ohne Hand oder Fuß regen, ohne ein Wort reden zu duͤrfen, in der unbequemsten Stellung, die mir an manchen Orten empfindliche Schmerzen machte; mein Athem draͤngte sich durch die beklemmte Brust, und in dieser Verfassung sollte ich die Ankunft des Todes erwarten. Da war das Bild dessen, der doch ein wenig mehr Freiheit hatte als ich, offenbar angenehmer. </p> <p>Bald praͤsentirte sich der Tod in einer andern Gestalt als Ende aller Unbequemlichkeiten und Besorgnisse. Jch fing wieder an zu husten, ein <hi rendition="#aq">throm-<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0077]
Was ich von den Vorstellungen dieser Nacht noch herausbringen kann, ist etwa dieß: Zur Genesung war alle Hofnung verschwunden, und des nahen gewissen Todes Bild schwebte mir vor. Hier kamen einige verwickelte Phaͤnomene zum Vorschein. Wenn ich die Frage aufwarf: ob ich lieber jetzt sterben, oder meinen siechen Koͤrper noch ein halb Jahr hinschleppen wollte? so waͤhlte ich gleich mit Empressement das Letztre.
Die Todesfurcht schien also ganz die Oberhand zu haben. Analysirte ich aber diese Wahl weiter, so fand ich, daß meine Seele nicht den Tod heut und den Tod nach einem Jahr verglichen hatte, sondern es ging so zu: Sie dachte sich einen Schwindsuͤchtigen, freilich mit vielen Unbequemlichkeiten dem Grabe entgegenschleichend, der aber doch ein wenig reden, ein wenig gehen, ein wenig sich bewegen konnte. Jch hingegen lag, ohne Hand oder Fuß regen, ohne ein Wort reden zu duͤrfen, in der unbequemsten Stellung, die mir an manchen Orten empfindliche Schmerzen machte; mein Athem draͤngte sich durch die beklemmte Brust, und in dieser Verfassung sollte ich die Ankunft des Todes erwarten. Da war das Bild dessen, der doch ein wenig mehr Freiheit hatte als ich, offenbar angenehmer.
Bald praͤsentirte sich der Tod in einer andern Gestalt als Ende aller Unbequemlichkeiten und Besorgnisse. Jch fing wieder an zu husten, ein throm-
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