Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Zur Seelenheilkunde. I. Heilung des Wahnwitzes durch Erweckung neuer Jdeen, in zwei Beispielen. Juliane Zernigalin, ein Mädchen von sehr lebhafter Einbildungskraft, ungefähr 17 bis 18 Jahr alt, war in unsern Diensten, als ich noch bei meiner Mutter unverheirathet lebte. Sie war fleißig, und bezeigte immer grosse Lust etwas zu lernen; dabei machte sie aber viel Entwürfe auf die Zukunft. Einen Verwandten, der nach Ostindien gegangen war, sahe sie nicht nur täglich in Gedanken sehr reich zurückkommen, sondern ihr träumte auch oft davon. Ueberhaupt beunruhigten mich ihre Träume sehr; denn ich ließ sie in meiner Schlafkammer schlafen, weil unsere übrigen Kammern zu entfernt waren. Von allem, was sie des Tages gesehen oder gedacht hatte, träumte ihr des Nachts. Waren es nur gewöhnliche Dinge gewesen, die ihre Leidenschaften nicht erregt hatten, so sprach sie nur mit mäßiger Stimme; die mich oft aufweckte, die ich aber, wie das mäßige Rauschen eines Wassers gewohnt ward. Allein wenn ihr etwas angenehmes Zur Seelenheilkunde. I. Heilung des Wahnwitzes durch Erweckung neuer Jdeen, in zwei Beispielen. Juliane Zernigalin, ein Maͤdchen von sehr lebhafter Einbildungskraft, ungefaͤhr 17 bis 18 Jahr alt, war in unsern Diensten, als ich noch bei meiner Mutter unverheirathet lebte. Sie war fleißig, und bezeigte immer grosse Lust etwas zu lernen; dabei machte sie aber viel Entwuͤrfe auf die Zukunft. Einen Verwandten, der nach Ostindien gegangen war, sahe sie nicht nur taͤglich in Gedanken sehr reich zuruͤckkommen, sondern ihr traͤumte auch oft davon. Ueberhaupt beunruhigten mich ihre Traͤume sehr; denn ich ließ sie in meiner Schlafkammer schlafen, weil unsere uͤbrigen Kammern zu entfernt waren. Von allem, was sie des Tages gesehen oder gedacht hatte, traͤumte ihr des Nachts. Waren es nur gewoͤhnliche Dinge gewesen, die ihre Leidenschaften nicht erregt hatten, so sprach sie nur mit maͤßiger Stimme; die mich oft aufweckte, die ich aber, wie das maͤßige Rauschen eines Wassers gewohnt ward. Allein wenn ihr etwas angenehmes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0027" n="27"/><lb/><lb/> </div> </div> <div n="2"> <head>Zur Seelenheilkunde.</head><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">I</hi>. Heilung des Wahnwitzes durch Erweckung neuer Jdeen, in zwei Beispielen.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref64"><note type="editorial"/>Reiske, Ernestine Christiane</persName> </bibl> </note> <p>Juliane Zernigalin, ein Maͤdchen von sehr lebhafter Einbildungskraft, ungefaͤhr 17 bis 18 Jahr alt, war in unsern Diensten, als ich noch bei meiner Mutter unverheirathet lebte. Sie war fleißig, und bezeigte immer grosse Lust etwas zu lernen; dabei machte sie aber viel Entwuͤrfe auf die Zukunft. Einen Verwandten, der nach Ostindien gegangen war, sahe sie nicht nur taͤglich in Gedanken sehr reich zuruͤckkommen, sondern ihr traͤumte auch oft davon. Ueberhaupt beunruhigten mich ihre Traͤume sehr; denn ich ließ sie in meiner Schlafkammer schlafen, weil unsere uͤbrigen Kammern zu entfernt waren. </p> <p>Von allem, was sie des Tages gesehen oder gedacht hatte, traͤumte ihr des Nachts. Waren es nur gewoͤhnliche Dinge gewesen, die ihre Leidenschaften nicht erregt hatten, so sprach sie nur mit maͤßiger Stimme; die mich oft aufweckte, die ich aber, wie das maͤßige Rauschen eines Wassers gewohnt ward. Allein wenn ihr etwas angenehmes<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0027]
Zur Seelenheilkunde.
I. Heilung des Wahnwitzes durch Erweckung neuer Jdeen, in zwei Beispielen.
Juliane Zernigalin, ein Maͤdchen von sehr lebhafter Einbildungskraft, ungefaͤhr 17 bis 18 Jahr alt, war in unsern Diensten, als ich noch bei meiner Mutter unverheirathet lebte. Sie war fleißig, und bezeigte immer grosse Lust etwas zu lernen; dabei machte sie aber viel Entwuͤrfe auf die Zukunft. Einen Verwandten, der nach Ostindien gegangen war, sahe sie nicht nur taͤglich in Gedanken sehr reich zuruͤckkommen, sondern ihr traͤumte auch oft davon. Ueberhaupt beunruhigten mich ihre Traͤume sehr; denn ich ließ sie in meiner Schlafkammer schlafen, weil unsere uͤbrigen Kammern zu entfernt waren.
Von allem, was sie des Tages gesehen oder gedacht hatte, traͤumte ihr des Nachts. Waren es nur gewoͤhnliche Dinge gewesen, die ihre Leidenschaften nicht erregt hatten, so sprach sie nur mit maͤßiger Stimme; die mich oft aufweckte, die ich aber, wie das maͤßige Rauschen eines Wassers gewohnt ward. Allein wenn ihr etwas angenehmes
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |