Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


lungen brachten. Ohne Zweifel hat das Klima auf jeden Mörder beträchtlichen Einfluß; anders handelt er unter einem wärmern, anders unter einem kältern. Der letztere geht langsamer und bedächtiger zu Werke, bey jenen ist der Gedanke: ich will, ich muß Eins, ein Ton, ein Ruf, von dem er sich auf- oder abgefordert glaubt. Er denkt's und mordet.

Jndem nun meine Empfindungen und Gedanken ihren gewissen Zusammenhang, Vorstellungs- und Begehrungskräfte ihre gehörigen Verhältnisse wiedererhielten; so konnte ich noch das beste Mittel gegen solche Bestürmungen gebrauchen. Jch verfolgte die Spur dieser erschlichenen Jdee, sahe die Täuschung ein, indem meine Seele zu der Jdee, von welcher sie ausgegangen war, auf demselben Wege zurückkehrte. Durch diese Rückwirkung wurde das Gleichgewicht meiner Seelenkräfte wiederhergestellt, mein Geist nüchtern, ich meiner selbst wieder deutlich bewust, und die Versuchung nahm ein erwünschtes Ende.

Dies scheint der Gang vieler, diesem überraschenden Gemüthszustande ähnlicher, Erscheinungen zu seyn, die eben so wenig von selbst, als das Echo ohne vorhergehenden Schall, entstehen können, und uns nur deswegen so blenden und täuschen, weil wir die Nothwendigkeit ihres succeßiven Erfolgs nicht einsehen. Denn je zufälliger, je schneller eine Jdee entsteht, desto tiefer ist ihr Eindruck, desto


lungen brachten. Ohne Zweifel hat das Klima auf jeden Moͤrder betraͤchtlichen Einfluß; anders handelt er unter einem waͤrmern, anders unter einem kaͤltern. Der letztere geht langsamer und bedaͤchtiger zu Werke, bey jenen ist der Gedanke: ich will, ich muß Eins, ein Ton, ein Ruf, von dem er sich auf- oder abgefordert glaubt. Er denkt's und mordet.

Jndem nun meine Empfindungen und Gedanken ihren gewissen Zusammenhang, Vorstellungs- und Begehrungskraͤfte ihre gehoͤrigen Verhaͤltnisse wiedererhielten; so konnte ich noch das beste Mittel gegen solche Bestuͤrmungen gebrauchen. Jch verfolgte die Spur dieser erschlichenen Jdee, sahe die Taͤuschung ein, indem meine Seele zu der Jdee, von welcher sie ausgegangen war, auf demselben Wege zuruͤckkehrte. Durch diese Ruͤckwirkung wurde das Gleichgewicht meiner Seelenkraͤfte wiederhergestellt, mein Geist nuͤchtern, ich meiner selbst wieder deutlich bewust, und die Versuchung nahm ein erwuͤnschtes Ende.

Dies scheint der Gang vieler, diesem uͤberraschenden Gemuͤthszustande aͤhnlicher, Erscheinungen zu seyn, die eben so wenig von selbst, als das Echo ohne vorhergehenden Schall, entstehen koͤnnen, und uns nur deswegen so blenden und taͤuschen, weil wir die Nothwendigkeit ihres succeßiven Erfolgs nicht einsehen. Denn je zufaͤlliger, je schneller eine Jdee entsteht, desto tiefer ist ihr Eindruck, desto

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0076" n="76"/><lb/>
lungen brachten. Ohne Zweifel hat                   das Klima auf jeden Mo&#x0364;rder betra&#x0364;chtlichen Einfluß; anders handelt er unter einem                   wa&#x0364;rmern, anders unter einem ka&#x0364;ltern. Der letztere geht langsamer und beda&#x0364;chtiger                   zu Werke, bey jenen ist der Gedanke: ich will, ich muß Eins, ein Ton, ein Ruf, von                   dem er sich auf- oder abgefordert glaubt. Er denkt's und mordet. </p>
            <p>Jndem nun meine Empfindungen und Gedanken ihren gewissen Zusammenhang,                   Vorstellungs- und Begehrungskra&#x0364;fte ihre geho&#x0364;rigen Verha&#x0364;ltnisse wiedererhielten; so                   konnte ich noch das beste Mittel gegen solche Bestu&#x0364;rmungen gebrauchen. Jch                   verfolgte die Spur dieser erschlichenen Jdee, sahe die Ta&#x0364;uschung ein, indem meine                   Seele zu der Jdee, von welcher sie ausgegangen war, auf demselben Wege                   zuru&#x0364;ckkehrte. Durch diese Ru&#x0364;ckwirkung wurde das Gleichgewicht meiner Seelenkra&#x0364;fte                   wiederhergestellt, mein Geist nu&#x0364;chtern, ich meiner selbst wieder deutlich bewust,                   und die Versuchung nahm ein erwu&#x0364;nschtes Ende. </p>
            <p>Dies scheint der Gang vieler, diesem u&#x0364;berraschenden Gemu&#x0364;thszustande a&#x0364;hnlicher,                   Erscheinungen zu seyn, die eben so wenig von selbst, als das Echo ohne                   vorhergehenden Schall, entstehen ko&#x0364;nnen, und uns nur deswegen so blenden und                   ta&#x0364;uschen, weil wir die Nothwendigkeit ihres succeßiven Erfolgs nicht einsehen.                   Denn je zufa&#x0364;lliger, je schneller eine Jdee entsteht, desto tiefer ist ihr                   Eindruck, desto<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0076] lungen brachten. Ohne Zweifel hat das Klima auf jeden Moͤrder betraͤchtlichen Einfluß; anders handelt er unter einem waͤrmern, anders unter einem kaͤltern. Der letztere geht langsamer und bedaͤchtiger zu Werke, bey jenen ist der Gedanke: ich will, ich muß Eins, ein Ton, ein Ruf, von dem er sich auf- oder abgefordert glaubt. Er denkt's und mordet. Jndem nun meine Empfindungen und Gedanken ihren gewissen Zusammenhang, Vorstellungs- und Begehrungskraͤfte ihre gehoͤrigen Verhaͤltnisse wiedererhielten; so konnte ich noch das beste Mittel gegen solche Bestuͤrmungen gebrauchen. Jch verfolgte die Spur dieser erschlichenen Jdee, sahe die Taͤuschung ein, indem meine Seele zu der Jdee, von welcher sie ausgegangen war, auf demselben Wege zuruͤckkehrte. Durch diese Ruͤckwirkung wurde das Gleichgewicht meiner Seelenkraͤfte wiederhergestellt, mein Geist nuͤchtern, ich meiner selbst wieder deutlich bewust, und die Versuchung nahm ein erwuͤnschtes Ende. Dies scheint der Gang vieler, diesem uͤberraschenden Gemuͤthszustande aͤhnlicher, Erscheinungen zu seyn, die eben so wenig von selbst, als das Echo ohne vorhergehenden Schall, entstehen koͤnnen, und uns nur deswegen so blenden und taͤuschen, weil wir die Nothwendigkeit ihres succeßiven Erfolgs nicht einsehen. Denn je zufaͤlliger, je schneller eine Jdee entsteht, desto tiefer ist ihr Eindruck, desto

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/76
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/76>, abgerufen am 21.11.2024.