Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


wohl ganz natürliche Ursachen haben mochte, er sah Menschen am Altar des Herrn etwas in den Mund nehmen und hernach aus einem schön vergoldeten Kelche trinken, und dieses mochte ihn schon nach dem Genusse desselben lüstern gemacht haben, welches Verlangen durch die Verweigerung, ihn selbst zuzulassen, ohnstreitig noch mehr vermehret wurde; er mochte daher wohl schon lange auf Mittel gedacht haben, zu diesem ihm versagten Genusse auf eine heimliche Art zu gelangen, und um diese seine Absicht zu erreichen, schien er die beste Gelegenheit darin zu finden, den öffentlichen Gottesdienst ganz abzuwarten, bis alle Leute aus der Kirche gegangen wären; und als einstmals der Kirchner die Hostien und den Kelch nicht gleich nach geendigten Gottesdienst abgenommen hatte, schlich er sich am Altar, nahm aus der auf demselben befindlichen Hostienschachtel eine Oblate und trank den übriggebliebenen Wein rein aus. Voller Freude, seines Wunsches endlich theilhaftig geworden zu seyn, lief er zu den Seinigen, indem er ihnen mit den lebhaftesten Gebehrden und mit den heitersten Minen erzählte, daß er nun auch in der Kirche gegessen und getrunken hätte, welches ihm auch recht gut geschmeckt habe.

Er versäumte übrigens nicht leicht eine Kirche, war ganz Aufmerksamkeit und ahmte die Stellung und Bewegungen der Prediger so glücklich nach, daß er jeden, auf Befragen, den Prediger durch


wohl ganz natuͤrliche Ursachen haben mochte, er sah Menschen am Altar des Herrn etwas in den Mund nehmen und hernach aus einem schoͤn vergoldeten Kelche trinken, und dieses mochte ihn schon nach dem Genusse desselben luͤstern gemacht haben, welches Verlangen durch die Verweigerung, ihn selbst zuzulassen, ohnstreitig noch mehr vermehret wurde; er mochte daher wohl schon lange auf Mittel gedacht haben, zu diesem ihm versagten Genusse auf eine heimliche Art zu gelangen, und um diese seine Absicht zu erreichen, schien er die beste Gelegenheit darin zu finden, den oͤffentlichen Gottesdienst ganz abzuwarten, bis alle Leute aus der Kirche gegangen waͤren; und als einstmals der Kirchner die Hostien und den Kelch nicht gleich nach geendigten Gottesdienst abgenommen hatte, schlich er sich am Altar, nahm aus der auf demselben befindlichen Hostienschachtel eine Oblate und trank den uͤbriggebliebenen Wein rein aus. Voller Freude, seines Wunsches endlich theilhaftig geworden zu seyn, lief er zu den Seinigen, indem er ihnen mit den lebhaftesten Gebehrden und mit den heitersten Minen erzaͤhlte, daß er nun auch in der Kirche gegessen und getrunken haͤtte, welches ihm auch recht gut geschmeckt habe.

Er versaͤumte uͤbrigens nicht leicht eine Kirche, war ganz Aufmerksamkeit und ahmte die Stellung und Bewegungen der Prediger so gluͤcklich nach, daß er jeden, auf Befragen, den Prediger durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0048" n="48"/><lb/>
wohl ganz natu&#x0364;rliche Ursachen haben                   mochte, er sah Menschen am Altar des Herrn etwas in den Mund nehmen und hernach                   aus einem scho&#x0364;n vergoldeten Kelche trinken, und dieses mochte ihn schon nach dem                   Genusse desselben lu&#x0364;stern gemacht haben, welches Verlangen durch die Verweigerung,                   ihn selbst zuzulassen, ohnstreitig noch mehr vermehret wurde; er mochte daher wohl                   schon lange auf Mittel gedacht haben, zu diesem ihm versagten Genusse auf eine                   heimliche Art zu gelangen, und um diese seine Absicht zu erreichen, schien er die                   beste Gelegenheit darin zu finden, den o&#x0364;ffentlichen Gottesdienst ganz abzuwarten,                   bis alle Leute aus der Kirche gegangen wa&#x0364;ren; und als einstmals der Kirchner die                   Hostien und den Kelch nicht gleich nach geendigten Gottesdienst abgenommen hatte,                   schlich er sich am Altar, nahm aus der auf demselben befindlichen Hostienschachtel                   eine Oblate und trank den u&#x0364;briggebliebenen Wein rein aus. Voller Freude, seines                   Wunsches endlich theilhaftig geworden zu seyn, lief er zu den Seinigen, indem er                   ihnen mit den lebhaftesten Gebehrden und mit den heitersten Minen erza&#x0364;hlte, daß er                   nun auch in der Kirche gegessen und getrunken ha&#x0364;tte, welches ihm auch recht gut                   geschmeckt habe. </p>
            <p>Er versa&#x0364;umte u&#x0364;brigens nicht leicht eine Kirche, war ganz Aufmerksamkeit und ahmte                   die Stellung und Bewegungen der Prediger so glu&#x0364;cklich nach, daß er jeden, auf                   Befragen, den Prediger durch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0048] wohl ganz natuͤrliche Ursachen haben mochte, er sah Menschen am Altar des Herrn etwas in den Mund nehmen und hernach aus einem schoͤn vergoldeten Kelche trinken, und dieses mochte ihn schon nach dem Genusse desselben luͤstern gemacht haben, welches Verlangen durch die Verweigerung, ihn selbst zuzulassen, ohnstreitig noch mehr vermehret wurde; er mochte daher wohl schon lange auf Mittel gedacht haben, zu diesem ihm versagten Genusse auf eine heimliche Art zu gelangen, und um diese seine Absicht zu erreichen, schien er die beste Gelegenheit darin zu finden, den oͤffentlichen Gottesdienst ganz abzuwarten, bis alle Leute aus der Kirche gegangen waͤren; und als einstmals der Kirchner die Hostien und den Kelch nicht gleich nach geendigten Gottesdienst abgenommen hatte, schlich er sich am Altar, nahm aus der auf demselben befindlichen Hostienschachtel eine Oblate und trank den uͤbriggebliebenen Wein rein aus. Voller Freude, seines Wunsches endlich theilhaftig geworden zu seyn, lief er zu den Seinigen, indem er ihnen mit den lebhaftesten Gebehrden und mit den heitersten Minen erzaͤhlte, daß er nun auch in der Kirche gegessen und getrunken haͤtte, welches ihm auch recht gut geschmeckt habe. Er versaͤumte uͤbrigens nicht leicht eine Kirche, war ganz Aufmerksamkeit und ahmte die Stellung und Bewegungen der Prediger so gluͤcklich nach, daß er jeden, auf Befragen, den Prediger durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/48
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/48>, abgerufen am 23.11.2024.