Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Zorn und Liebe waren die zwei Hauptleidenschaften dieses Menschen, aber so groß auch seine Neigung gegen das schöne Geschlecht war, so sehr floh, ja verabscheute er den Umgang mit einer verehlichten Person; nichts war ihm daher unerträglicher, als einen Ehemann mit einen Frauenzimmer, sie mochte nun verheirathet oder ledig seyn, scherzen zu sehen, und ein freundlicher Blick, den eine Frau auf eine andere Mannsperson, als auf die, welche die Hand des Predigers mit ihr verbunden hatte, warf, war schon hinreichend, seinen Zorn ganz zu entflammen -- brummend und mit dem Kopfe schüttelnd verließ er ein solches seinen Augen unerträgliches Schauspiel, indem er mit schnellen Schritten zu derjenigen Person eilte, die nach seinem Gedanken durch die schändlichste Untreue ihres Ehegatten auf das Empfindlichste war beleidiget worden. Er bezeichnete daher nicht nur die Person, die sich eines solchen in seinen Augen zum wenigsten unverzeihlichen Verbrechens mit jemand anders, als ihrem Gatten gescherzt zu ha-
Zorn und Liebe waren die zwei Hauptleidenschaften dieses Menschen, aber so groß auch seine Neigung gegen das schoͤne Geschlecht war, so sehr floh, ja verabscheute er den Umgang mit einer verehlichten Person; nichts war ihm daher unertraͤglicher, als einen Ehemann mit einen Frauenzimmer, sie mochte nun verheirathet oder ledig seyn, scherzen zu sehen, und ein freundlicher Blick, den eine Frau auf eine andere Mannsperson, als auf die, welche die Hand des Predigers mit ihr verbunden hatte, warf, war schon hinreichend, seinen Zorn ganz zu entflammen — brummend und mit dem Kopfe schuͤttelnd verließ er ein solches seinen Augen unertraͤgliches Schauspiel, indem er mit schnellen Schritten zu derjenigen Person eilte, die nach seinem Gedanken durch die schaͤndlichste Untreue ihres Ehegatten auf das Empfindlichste war beleidiget worden. Er bezeichnete daher nicht nur die Person, die sich eines solchen in seinen Augen zum wenigsten unverzeihlichen Verbrechens mit jemand anders, als ihrem Gatten gescherzt zu ha- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0054" n="54"/><lb/> Felde, als z.E. Kohl, Moͤhren, Kartoffeln, naͤhme, auch ein Dieb sei, da er sich immer mit dem alten, freilich sehr uͤbel angewendeten Spruͤchworte: »was man mit dem Maule davon tragen koͤnne, sei keine Suͤnde« — entschuldigte. Eben dieses war vielleicht diesem Stummen auch in seiner Jugend beigebracht worden, und hatte so einen Einfluß auf sein ganzes Leben. </p> <p>Zorn und Liebe waren die zwei Hauptleidenschaften dieses Menschen, aber so groß auch seine Neigung gegen das schoͤne Geschlecht war, so sehr floh, ja verabscheute er den Umgang mit einer verehlichten Person; nichts war ihm daher unertraͤglicher, als einen Ehemann mit einen Frauenzimmer, sie mochte nun verheirathet oder ledig seyn, scherzen zu sehen, und ein freundlicher Blick, den eine Frau auf eine andere Mannsperson, als auf die, welche die Hand des Predigers mit ihr verbunden hatte, warf, war schon hinreichend, seinen Zorn ganz zu entflammen — brummend und mit dem Kopfe schuͤttelnd verließ er ein solches seinen Augen unertraͤgliches Schauspiel, indem er mit schnellen Schritten zu derjenigen Person eilte, die nach seinem Gedanken durch die schaͤndlichste Untreue ihres Ehegatten auf das Empfindlichste war beleidiget worden. Er bezeichnete daher nicht nur die Person, die sich eines solchen in seinen Augen zum wenigsten unverzeihlichen Verbrechens mit jemand anders, als ihrem Gatten gescherzt zu ha-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0054]
Felde, als z.E. Kohl, Moͤhren, Kartoffeln, naͤhme, auch ein Dieb sei, da er sich immer mit dem alten, freilich sehr uͤbel angewendeten Spruͤchworte: »was man mit dem Maule davon tragen koͤnne, sei keine Suͤnde« — entschuldigte. Eben dieses war vielleicht diesem Stummen auch in seiner Jugend beigebracht worden, und hatte so einen Einfluß auf sein ganzes Leben.
Zorn und Liebe waren die zwei Hauptleidenschaften dieses Menschen, aber so groß auch seine Neigung gegen das schoͤne Geschlecht war, so sehr floh, ja verabscheute er den Umgang mit einer verehlichten Person; nichts war ihm daher unertraͤglicher, als einen Ehemann mit einen Frauenzimmer, sie mochte nun verheirathet oder ledig seyn, scherzen zu sehen, und ein freundlicher Blick, den eine Frau auf eine andere Mannsperson, als auf die, welche die Hand des Predigers mit ihr verbunden hatte, warf, war schon hinreichend, seinen Zorn ganz zu entflammen — brummend und mit dem Kopfe schuͤttelnd verließ er ein solches seinen Augen unertraͤgliches Schauspiel, indem er mit schnellen Schritten zu derjenigen Person eilte, die nach seinem Gedanken durch die schaͤndlichste Untreue ihres Ehegatten auf das Empfindlichste war beleidiget worden. Er bezeichnete daher nicht nur die Person, die sich eines solchen in seinen Augen zum wenigsten unverzeihlichen Verbrechens mit jemand anders, als ihrem Gatten gescherzt zu ha-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/54>, abgerufen am 16.02.2025. |