Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0060" n="60"/><lb/> selbe, und wartete mit Thraͤnen im Auge auf eine zaͤrtliche Gegenerklaͤrung seiner Geliebten. — Aber welch ein toͤdtlicher Schlag fuͤr sein liebekrankes Herz! das Maͤdchen, welchem er sonst nicht gleichguͤltig gewesen war, fuͤhlte sich in dem Augenblick, da er ihr seine Liebe erklaͤrte, auf einmahl von dem heftigsten Haß gegen ihn durchdrungen. Der junge Mann war ihr, ohne daß sie sich davon eine Ursach anzugeben wußte, der abscheulichste und unausstehlichste Mensch geworden. Sie verließ ihn mit einem Blick, der den ganzen Abscheu ihres Herzens gegen ihn ausdruͤckte, und das Haus ihres Anverwandten hatte nunmehr alle Reitze fuͤr sie verlohren, da sie in demselben der Gesellschaft eines Mannes nicht ausweichen konnte, den sie von ganzem Herzen haßte. Diese Empfindung war nicht von der Art, wie sie sproͤde und schuͤchterne Maͤdchen aus einer misverstandenen Schaamhaftigkeit bisweilen zu haben scheinen, indem ihnen ein unvermutheter Liebesantrag geschieht. Sie entruͤsten sich — einige Augenblicke uͤber die Freiheit, die sich ein junger Mann genommen hat, ihnen sein Herz anzubiethen, und sind so erstaunlich tugendhaft, daß sie sich manchmahl mit dem Zorn einer Furie im Auge die Gesellschaft des Liebhabers verbitten, den sie im andern Augenblick schon wieder — einladen. Der Haß unserer Sproͤden gegen ihren Liebhaber dauerte lange fort, und hoͤrte, was mir sehr sonderbar hiebei vorkommt, nicht eher<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0060]
selbe, und wartete mit Thraͤnen im Auge auf eine zaͤrtliche Gegenerklaͤrung seiner Geliebten. — Aber welch ein toͤdtlicher Schlag fuͤr sein liebekrankes Herz! das Maͤdchen, welchem er sonst nicht gleichguͤltig gewesen war, fuͤhlte sich in dem Augenblick, da er ihr seine Liebe erklaͤrte, auf einmahl von dem heftigsten Haß gegen ihn durchdrungen. Der junge Mann war ihr, ohne daß sie sich davon eine Ursach anzugeben wußte, der abscheulichste und unausstehlichste Mensch geworden. Sie verließ ihn mit einem Blick, der den ganzen Abscheu ihres Herzens gegen ihn ausdruͤckte, und das Haus ihres Anverwandten hatte nunmehr alle Reitze fuͤr sie verlohren, da sie in demselben der Gesellschaft eines Mannes nicht ausweichen konnte, den sie von ganzem Herzen haßte. Diese Empfindung war nicht von der Art, wie sie sproͤde und schuͤchterne Maͤdchen aus einer misverstandenen Schaamhaftigkeit bisweilen zu haben scheinen, indem ihnen ein unvermutheter Liebesantrag geschieht. Sie entruͤsten sich — einige Augenblicke uͤber die Freiheit, die sich ein junger Mann genommen hat, ihnen sein Herz anzubiethen, und sind so erstaunlich tugendhaft, daß sie sich manchmahl mit dem Zorn einer Furie im Auge die Gesellschaft des Liebhabers verbitten, den sie im andern Augenblick schon wieder — einladen. Der Haß unserer Sproͤden gegen ihren Liebhaber dauerte lange fort, und hoͤrte, was mir sehr sonderbar hiebei vorkommt, nicht eher
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