Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Kömmt nicht durch das vernünftige Denken erst Plan und Zweck in mein ganzes Leben? -- würde ohne diese Eigenschaft mir nicht mein Daseyn selbst eine Marter seyn? und ist es mir nicht eine Marter gewesen, so oft ich meine ganze Denkkraft nicht wirken, und durch sie die Nebel, welche meinen Geist umhüllten, zerstreuen ließ? -- Wie unsicher stände es denn um meine eigne Menschheit, wenn es Taubstumme gäbe, die wirklich wegen Mangel der Sprache nur halb Mensch und halb Thier wären, und dieß nun einmal nothwendig seyn müßten! -- Doch der Wunsch, daß etwas so und nicht anders seyn möge, soll mich nie bei der Erforschung der Wahrheit leiten. --- Jch habe gelernt, mich der Nothwendigkeit zu unterwerfen, und werde daher bei meinen Untersuchungen und Beobachtungen nie mit ängstlichen, sondern mit festen und sichern Schritten gehen -- sey denn auch das Resultat derselben, was es wolle. Jm ersten Stück des ersten Bandes dieses Magazins S. 39. habe ich angefangen, einige Beobachtungen über einen Taub- und Stummgebohr-
Koͤmmt nicht durch das vernuͤnftige Denken erst Plan und Zweck in mein ganzes Leben? — wuͤrde ohne diese Eigenschaft mir nicht mein Daseyn selbst eine Marter seyn? und ist es mir nicht eine Marter gewesen, so oft ich meine ganze Denkkraft nicht wirken, und durch sie die Nebel, welche meinen Geist umhuͤllten, zerstreuen ließ? — Wie unsicher staͤnde es denn um meine eigne Menschheit, wenn es Taubstumme gaͤbe, die wirklich wegen Mangel der Sprache nur halb Mensch und halb Thier waͤren, und dieß nun einmal nothwendig seyn muͤßten! — Doch der Wunsch, daß etwas so und nicht anders seyn moͤge, soll mich nie bei der Erforschung der Wahrheit leiten. -— Jch habe gelernt, mich der Nothwendigkeit zu unterwerfen, und werde daher bei meinen Untersuchungen und Beobachtungen nie mit aͤngstlichen, sondern mit festen und sichern Schritten gehen — sey denn auch das Resultat derselben, was es wolle. Jm ersten Stuͤck des ersten Bandes dieses Magazins S. 39. habe ich angefangen, einige Beobachtungen uͤber einen Taub- und Stummgebohr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0007" n="7"/><lb/> fuͤrchterlichen Naͤhe des Zufalls, dem ich durch nichts haͤtte ausweichen koͤnnen — ich fuͤhle mich taub- und stummgebohren — und sollte nie vernuͤnftig denken — ein Jch ohne Jchheit — ein Wesen ohne Zweck — ein wandelnder Traum seyn? — </p> <p>Koͤmmt nicht durch das vernuͤnftige Denken erst Plan und Zweck in mein ganzes Leben? — wuͤrde ohne diese Eigenschaft mir nicht mein Daseyn selbst <choice><corr>eine</corr><sic>ein</sic></choice> Marter seyn? und ist es mir nicht eine Marter gewesen, so oft ich meine ganze Denkkraft nicht wirken, und durch sie die Nebel, welche meinen Geist umhuͤllten, zerstreuen ließ? — </p> <p>Wie <hi rendition="#b">unsicher</hi> staͤnde es denn um meine eigne Menschheit, wenn es Taubstumme gaͤbe, die wirklich wegen Mangel der Sprache nur <hi rendition="#b">halb Mensch und halb Thier</hi> waͤren, und dieß nun einmal nothwendig seyn muͤßten! — </p> <p>Doch der Wunsch, daß etwas so und nicht anders seyn moͤge, soll mich nie bei der Erforschung der Wahrheit leiten. -— Jch habe gelernt, mich der Nothwendigkeit zu unterwerfen, und werde daher bei meinen Untersuchungen und Beobachtungen nie mit aͤngstlichen, sondern mit festen und sichern Schritten gehen — sey denn auch das Resultat derselben, was es wolle. </p> <p>Jm ersten Stuͤck des ersten Bandes dieses Magazins S. 39. habe ich angefangen, einige Beobachtungen uͤber einen Taub- und Stummgebohr-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0007]
fuͤrchterlichen Naͤhe des Zufalls, dem ich durch nichts haͤtte ausweichen koͤnnen — ich fuͤhle mich taub- und stummgebohren — und sollte nie vernuͤnftig denken — ein Jch ohne Jchheit — ein Wesen ohne Zweck — ein wandelnder Traum seyn? —
Koͤmmt nicht durch das vernuͤnftige Denken erst Plan und Zweck in mein ganzes Leben? — wuͤrde ohne diese Eigenschaft mir nicht mein Daseyn selbst eine Marter seyn? und ist es mir nicht eine Marter gewesen, so oft ich meine ganze Denkkraft nicht wirken, und durch sie die Nebel, welche meinen Geist umhuͤllten, zerstreuen ließ? —
Wie unsicher staͤnde es denn um meine eigne Menschheit, wenn es Taubstumme gaͤbe, die wirklich wegen Mangel der Sprache nur halb Mensch und halb Thier waͤren, und dieß nun einmal nothwendig seyn muͤßten! —
Doch der Wunsch, daß etwas so und nicht anders seyn moͤge, soll mich nie bei der Erforschung der Wahrheit leiten. -— Jch habe gelernt, mich der Nothwendigkeit zu unterwerfen, und werde daher bei meinen Untersuchungen und Beobachtungen nie mit aͤngstlichen, sondern mit festen und sichern Schritten gehen — sey denn auch das Resultat derselben, was es wolle.
Jm ersten Stuͤck des ersten Bandes dieses Magazins S. 39. habe ich angefangen, einige Beobachtungen uͤber einen Taub- und Stummgebohr-
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