Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Noch eine Empfindung aus den Jahren seiner Kindheit ist vielleicht nicht unschicklich hier heran zu ziehen -- er dachte sich damals zuweilen, wenn er andere Eltern, als die seinigen, hätte, und die seinigen ihn nun nichts angingen, sondern ihm ganz gleichgültig wären. -- Ueber den Gedanken vergoß er oft kindische Thränen -- seine Eltern mochten seyn, wie sie wollten, so waren sie ihm doch die liebsten -- und er hätte sie nicht gegen die vornehmsten und gütigsten vertauscht. Aber zugleich empfand er auch schon damals etwas von dem sonderbaren Gefühl des Verlierens unter der Menge, und daß es noch so unzählig viele Eltern mit Kindern außer den seinigen gab, worunter sich diese wieder verlohren. -- So oft er sich nachher in einem Gedränge von Menschen befunden hat, ist eben dieß Gefühl der Kleinheit, Einzelnheit,und fast dem Nichts gleichen Unbedeutsamkeit in ihm erwacht. -- Wie viel ist des mir gleichen Stoffes hier! -- welch eine Menge von dieser Menschenmasse, aus welcher Staaten und Kriegsheere, so wie aus Baumstämmen Häuser und Thürme, gebildet werden. --
Noch eine Empfindung aus den Jahren seiner Kindheit ist vielleicht nicht unschicklich hier heran zu ziehen — er dachte sich damals zuweilen, wenn er andere Eltern, als die seinigen, haͤtte, und die seinigen ihn nun nichts angingen, sondern ihm ganz gleichguͤltig waͤren. — Ueber den Gedanken vergoß er oft kindische Thraͤnen — seine Eltern mochten seyn, wie sie wollten, so waren sie ihm doch die liebsten — und er haͤtte sie nicht gegen die vornehmsten und guͤtigsten vertauscht. Aber zugleich empfand er auch schon damals etwas von dem sonderbaren Gefuͤhl des Verlierens unter der Menge, und daß es noch so unzaͤhlig viele Eltern mit Kindern außer den seinigen gab, worunter sich diese wieder verlohren. — So oft er sich nachher in einem Gedraͤnge von Menschen befunden hat, ist eben dieß Gefuͤhl der Kleinheit, Einzelnheit,und fast dem Nichts gleichen Unbedeutsamkeit in ihm erwacht. — Wie viel ist des mir gleichen Stoffes hier! — welch eine Menge von dieser Menschenmasse, aus welcher Staaten und Kriegsheere, so wie aus Baumstaͤmmen Haͤuser und Thuͤrme, gebildet werden. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0076" n="76"/><lb/> men, und zu versuchen, ob er die Scheidewand nicht durchdringen koͤnnte, welche die Erinnerungen und Gedanken dieses fremden Menschen von den seinigen trennte. — </p> <p>Noch eine Empfindung aus den Jahren seiner Kindheit ist vielleicht nicht unschicklich hier heran zu ziehen — er dachte sich damals zuweilen, wenn er andere Eltern, als die seinigen, haͤtte, und die seinigen ihn nun nichts angingen, sondern ihm ganz gleichguͤltig waͤren. — Ueber den Gedanken vergoß er oft kindische Thraͤnen — seine Eltern mochten seyn, wie sie wollten, so waren sie ihm doch die liebsten — und er haͤtte sie nicht gegen die vornehmsten und guͤtigsten vertauscht. Aber zugleich empfand er auch schon damals etwas von dem sonderbaren Gefuͤhl des <hi rendition="#b">Verlierens unter der Menge,</hi> und daß es noch so unzaͤhlig viele Eltern mit Kindern außer den seinigen gab, worunter sich diese wieder verlohren. — </p> <p>So oft er sich nachher in einem <hi rendition="#b">Gedraͤnge</hi> von Menschen befunden hat, ist eben dieß Gefuͤhl der <hi rendition="#b">Kleinheit, Einzelnheit,</hi>und fast dem <hi rendition="#b">Nichts gleichen Unbedeutsamkeit</hi> in ihm erwacht. — Wie viel ist des mir gleichen Stoffes hier! — welch eine Menge von dieser <hi rendition="#b">Menschenmasse,</hi> aus welcher Staaten und Kriegsheere, so wie aus Baumstaͤmmen Haͤuser und Thuͤrme, gebildet werden. — </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0076]
men, und zu versuchen, ob er die Scheidewand nicht durchdringen koͤnnte, welche die Erinnerungen und Gedanken dieses fremden Menschen von den seinigen trennte. —
Noch eine Empfindung aus den Jahren seiner Kindheit ist vielleicht nicht unschicklich hier heran zu ziehen — er dachte sich damals zuweilen, wenn er andere Eltern, als die seinigen, haͤtte, und die seinigen ihn nun nichts angingen, sondern ihm ganz gleichguͤltig waͤren. — Ueber den Gedanken vergoß er oft kindische Thraͤnen — seine Eltern mochten seyn, wie sie wollten, so waren sie ihm doch die liebsten — und er haͤtte sie nicht gegen die vornehmsten und guͤtigsten vertauscht. Aber zugleich empfand er auch schon damals etwas von dem sonderbaren Gefuͤhl des Verlierens unter der Menge, und daß es noch so unzaͤhlig viele Eltern mit Kindern außer den seinigen gab, worunter sich diese wieder verlohren. —
So oft er sich nachher in einem Gedraͤnge von Menschen befunden hat, ist eben dieß Gefuͤhl der Kleinheit, Einzelnheit,und fast dem Nichts gleichen Unbedeutsamkeit in ihm erwacht. — Wie viel ist des mir gleichen Stoffes hier! — welch eine Menge von dieser Menschenmasse, aus welcher Staaten und Kriegsheere, so wie aus Baumstaͤmmen Haͤuser und Thuͤrme, gebildet werden. —
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