Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.2. Sonderbare hypochondrische Grille. Ein guter ehrlicher Prediger auf dem Lande, der von dem Dämon der Hypochondrie übel geplagt wird, besuchte im vorigen Sommer einen meiner Bekannten in der Stadt. Er schien ganz ruhig und heiter zu seyn. Er blieb bis an den Abend, und weil es eben ein warmer Tag war, ward bei dem Abendessen eine Kalteschale aufgetragen, die die Gesellschaft, welche etwa aus drei oder vier Personen, den Prediger eingeschlossen, bestand, mit gutem Apetit verzehrte. Der Prediger ging diesen Abend noch nach seinem Wohnorte zurück. Nach etwa vierzehn Tagen kam er wieder, war in dem traurigsten Zustande und beklagte sich gegen die Schwester seines Bekannten aufs bitterste, daß er dem Tode nahe sei, und daß ihr Bruder ihn neulich durch die Kalteschale vergiftet habe; er habe gleich von dem Tage an das Gift in seinem Eingeweide auf das schmerzhafteste empfunden. Man stellte ihm vor, daß sich dieß überhaupt gar nicht gedenken lasse, daß sie alle mit davon gegessen, also sie ebenfalls dieß Unglück mit betroffen haben müßte u.s.w. aber alle diese Vorstellungen waren vergebens. Er ging äußerst zerrüttet nach Hause und trug sich so lange mit dieser Vorstellung, bis die Zeit sie auslöschte. C. D. Voß. 2. Sonderbare hypochondrische Grille. Ein guter ehrlicher Prediger auf dem Lande, der von dem Daͤmon der Hypochondrie uͤbel geplagt wird, besuchte im vorigen Sommer einen meiner Bekannten in der Stadt. Er schien ganz ruhig und heiter zu seyn. Er blieb bis an den Abend, und weil es eben ein warmer Tag war, ward bei dem Abendessen eine Kalteschale aufgetragen, die die Gesellschaft, welche etwa aus drei oder vier Personen, den Prediger eingeschlossen, bestand, mit gutem Apetit verzehrte. Der Prediger ging diesen Abend noch nach seinem Wohnorte zuruͤck. Nach etwa vierzehn Tagen kam er wieder, war in dem traurigsten Zustande und beklagte sich gegen die Schwester seines Bekannten aufs bitterste, daß er dem Tode nahe sei, und daß ihr Bruder ihn neulich durch die Kalteschale vergiftet habe; er habe gleich von dem Tage an das Gift in seinem Eingeweide auf das schmerzhafteste empfunden. Man stellte ihm vor, daß sich dieß uͤberhaupt gar nicht gedenken lasse, daß sie alle mit davon gegessen, also sie ebenfalls dieß Ungluͤck mit betroffen haben muͤßte u.s.w. aber alle diese Vorstellungen waren vergebens. Er ging aͤußerst zerruͤttet nach Hause und trug sich so lange mit dieser Vorstellung, bis die Zeit sie ausloͤschte. C. D. Voß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0021" n="21"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>2. Sonderbare hypochondrische Grille.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref25"><note type="editorial"/>Voß, Christian Daniel</persName> </bibl> </note> <p>Ein guter ehrlicher Prediger auf dem Lande, der von dem Daͤmon der Hypochondrie uͤbel geplagt wird, besuchte im vorigen Sommer einen meiner Bekannten in der Stadt. Er schien ganz ruhig und heiter zu seyn. Er blieb bis an den Abend, und weil es eben ein warmer Tag war, ward bei dem Abendessen eine Kalteschale aufgetragen, die die Gesellschaft, welche etwa aus drei oder vier Personen, den Prediger eingeschlossen, bestand, mit gutem Apetit verzehrte. Der Prediger ging diesen Abend noch nach seinem Wohnorte zuruͤck. Nach etwa vierzehn Tagen kam er wieder, war in dem traurigsten Zustande und beklagte sich gegen die Schwester seines Bekannten aufs bitterste, daß er dem Tode nahe sei, und daß ihr Bruder ihn neulich durch die Kalteschale vergiftet habe; er habe gleich von dem Tage an das Gift in seinem Eingeweide auf das schmerzhafteste empfunden. Man stellte ihm vor, daß sich dieß uͤberhaupt gar nicht gedenken lasse, daß sie alle mit davon gegessen, also sie ebenfalls dieß Ungluͤck mit betroffen haben muͤßte u.s.w. aber alle diese Vorstellungen waren vergebens. Er ging aͤußerst zerruͤttet nach Hause und trug sich so lange mit dieser Vorstellung, bis die Zeit sie ausloͤschte.</p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref0025"><note type="editorial">Voß, Christian Daniel</note>C. D. Voß.</persName> </hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0021]
2. Sonderbare hypochondrische Grille.
Ein guter ehrlicher Prediger auf dem Lande, der von dem Daͤmon der Hypochondrie uͤbel geplagt wird, besuchte im vorigen Sommer einen meiner Bekannten in der Stadt. Er schien ganz ruhig und heiter zu seyn. Er blieb bis an den Abend, und weil es eben ein warmer Tag war, ward bei dem Abendessen eine Kalteschale aufgetragen, die die Gesellschaft, welche etwa aus drei oder vier Personen, den Prediger eingeschlossen, bestand, mit gutem Apetit verzehrte. Der Prediger ging diesen Abend noch nach seinem Wohnorte zuruͤck. Nach etwa vierzehn Tagen kam er wieder, war in dem traurigsten Zustande und beklagte sich gegen die Schwester seines Bekannten aufs bitterste, daß er dem Tode nahe sei, und daß ihr Bruder ihn neulich durch die Kalteschale vergiftet habe; er habe gleich von dem Tage an das Gift in seinem Eingeweide auf das schmerzhafteste empfunden. Man stellte ihm vor, daß sich dieß uͤberhaupt gar nicht gedenken lasse, daß sie alle mit davon gegessen, also sie ebenfalls dieß Ungluͤck mit betroffen haben muͤßte u.s.w. aber alle diese Vorstellungen waren vergebens. Er ging aͤußerst zerruͤttet nach Hause und trug sich so lange mit dieser Vorstellung, bis die Zeit sie ausloͤschte.
C. D. Voß.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |