Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
Du wirst Dich noch wohl, mein Lieber! an das erinnern können, was ich eben erzählte. Doch darf ich hier eines Umstandes nicht vergessen, der den größten Theil meines thätigen Lebens von dessen Anbeginn mit der Note seines Gepräges bezeichnete, folglich auch an dem erzählten Vorfalle seinen Antheil hatte. Kinder haben das stärkste Gefühl von Unrecht. Du wirst selbst schon von dieser Wahrheit überzeugt seyn, wenn Du Dich in die Gefühle Deiner Kindheit zurückdenkst, die sogleich durch den unbedeutendsten, misfälligen Ton, durch jede Behandlung oder einen anderweitigen Anlaß, der eben nicht zu rechter Zeit, und just, da das Köpfchen nicht gut gestellt war, kam, gereitzt wurden; da wird manches als Unrecht, als Beleidigung angeklagt, das freilich dieses nicht, sondern vielmehr das Gegentheil war, und nur nicht dem Eigensinne des kleinen Stutzköpfchen schmeichelte; den Au-
Du wirst Dich noch wohl, mein Lieber! an das erinnern koͤnnen, was ich eben erzaͤhlte. Doch darf ich hier eines Umstandes nicht vergessen, der den groͤßten Theil meines thaͤtigen Lebens von dessen Anbeginn mit der Note seines Gepraͤges bezeichnete, folglich auch an dem erzaͤhlten Vorfalle seinen Antheil hatte. Kinder haben das staͤrkste Gefuͤhl von Unrecht. Du wirst selbst schon von dieser Wahrheit uͤberzeugt seyn, wenn Du Dich in die Gefuͤhle Deiner Kindheit zuruͤckdenkst, die sogleich durch den unbedeutendsten, misfaͤlligen Ton, durch jede Behandlung oder einen anderweitigen Anlaß, der eben nicht zu rechter Zeit, und just, da das Koͤpfchen nicht gut gestellt war, kam, gereitzt wurden; da wird manches als Unrecht, als Beleidigung angeklagt, das freilich dieses nicht, sondern vielmehr das Gegentheil war, und nur nicht dem Eigensinne des kleinen Stutzkoͤpfchen schmeichelte; den Au- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0090" n="90"/><lb/> kommen. Schwer hielt es, mich auch durch dieses Versprechen zu bewegen, den Unterricht eines solchen Mannes anzuhoͤren, und unter seinen Befehlen zu stehen. Doch er hielt wirklich sein Versprechen; denn er sahe meine Empfindlichkeit, ohne Eigensinn, Ungeduld, Zorn oder eine andere Leidenschaft begleitet; und vielleicht brachte ihn dieser Vorfall auch zur Kenntniß seiner unvernuͤnftigen Behandlungen; mich wenigstens schonte er immer in einer minder wichtigen Sache. </p> <p>Du wirst Dich noch wohl, mein Lieber! an das erinnern koͤnnen, was ich eben erzaͤhlte. Doch darf ich hier eines Umstandes nicht vergessen, der den groͤßten Theil meines thaͤtigen Lebens von dessen Anbeginn mit der Note seines Gepraͤges bezeichnete, folglich auch an dem erzaͤhlten Vorfalle seinen Antheil hatte. </p> <p>Kinder haben das staͤrkste Gefuͤhl von Unrecht. Du wirst selbst schon von dieser Wahrheit uͤberzeugt seyn, wenn Du Dich in die Gefuͤhle Deiner Kindheit zuruͤckdenkst, die sogleich durch den unbedeutendsten, misfaͤlligen Ton, durch jede Behandlung oder einen anderweitigen Anlaß, der eben nicht zu rechter Zeit, und just, da das Koͤpfchen nicht gut gestellt war, kam, gereitzt <choice><corr>wurden</corr><sic>wuͤrden</sic></choice>; da wird manches als Unrecht, als Beleidigung angeklagt, das freilich dieses nicht, sondern vielmehr das Gegentheil war, und nur nicht dem Eigensinne des kleinen Stutzkoͤpfchen schmeichelte; den Au-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0090]
kommen. Schwer hielt es, mich auch durch dieses Versprechen zu bewegen, den Unterricht eines solchen Mannes anzuhoͤren, und unter seinen Befehlen zu stehen. Doch er hielt wirklich sein Versprechen; denn er sahe meine Empfindlichkeit, ohne Eigensinn, Ungeduld, Zorn oder eine andere Leidenschaft begleitet; und vielleicht brachte ihn dieser Vorfall auch zur Kenntniß seiner unvernuͤnftigen Behandlungen; mich wenigstens schonte er immer in einer minder wichtigen Sache.
Du wirst Dich noch wohl, mein Lieber! an das erinnern koͤnnen, was ich eben erzaͤhlte. Doch darf ich hier eines Umstandes nicht vergessen, der den groͤßten Theil meines thaͤtigen Lebens von dessen Anbeginn mit der Note seines Gepraͤges bezeichnete, folglich auch an dem erzaͤhlten Vorfalle seinen Antheil hatte.
Kinder haben das staͤrkste Gefuͤhl von Unrecht. Du wirst selbst schon von dieser Wahrheit uͤberzeugt seyn, wenn Du Dich in die Gefuͤhle Deiner Kindheit zuruͤckdenkst, die sogleich durch den unbedeutendsten, misfaͤlligen Ton, durch jede Behandlung oder einen anderweitigen Anlaß, der eben nicht zu rechter Zeit, und just, da das Koͤpfchen nicht gut gestellt war, kam, gereitzt wurden; da wird manches als Unrecht, als Beleidigung angeklagt, das freilich dieses nicht, sondern vielmehr das Gegentheil war, und nur nicht dem Eigensinne des kleinen Stutzkoͤpfchen schmeichelte; den Au-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/90>, abgerufen am 16.02.2025. |