Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


so durfte ich keinem Ofen zu nahe kommen; denn ich hatte eine solche lebendige Jdee und Bild bei aller sonst ruhigen Gemüthsdisposition, als ob ich mit dem Kopfe wider denselben liefe, daß ich mir auch den Kopf mit der Hand, oder etwas vor dem Kopf im hin- und hergehen vorhalten mußte, damit ich nur den Ofen nicht sehen dürfte. Wäre damahls der Verstand durch schlaflose Nächte, oder durch andere Ursachen verloren gegangen; so bin ich gewiß, daß ich mechanice und brutaliter nach diesem Bilde der Jmagination würde agirt und gewürkt haben, v.g. wider den Ofen gelaufen seyn, so man mich demselben nahe kommen lassen, und der Natur der Lauf wäre gelassen worden. Denn wo keine Vernunft ist, da agirt ein Thier mechanice und physica necessitate nach den Bildern, die ihm eingedrückt sind. So lange aber noch Verstand und Vernunft vorhanden, so hat ein Mensch noch Macht, durch dieselbe die Phantasie zu überwinden, und doch nicht nach dem Bilde zu handeln, das er im Gehirne hat; es müßte denn die allzulebhafte Vorstellung eine Uebereilung verursachen. Saß ich damahls, oder stand nahe bei Einem, so mußte ich mir oft den Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anspiee, wenn er gleich mein Freund war, und ich alle Liebe zu ihm hatte, so daß ich gar nicht wußte, warum ich ihn anspeien sollte; denn das Anspeien kam mir so deutlich vor, als ob es geschähe; oder ich schlug ihn in Gedanken mit der Hand in's Ange-


so durfte ich keinem Ofen zu nahe kommen; denn ich hatte eine solche lebendige Jdee und Bild bei aller sonst ruhigen Gemuͤthsdisposition, als ob ich mit dem Kopfe wider denselben liefe, daß ich mir auch den Kopf mit der Hand, oder etwas vor dem Kopf im hin- und hergehen vorhalten mußte, damit ich nur den Ofen nicht sehen duͤrfte. Waͤre damahls der Verstand durch schlaflose Naͤchte, oder durch andere Ursachen verloren gegangen; so bin ich gewiß, daß ich mechanice und brutaliter nach diesem Bilde der Jmagination wuͤrde agirt und gewuͤrkt haben, v.g. wider den Ofen gelaufen seyn, so man mich demselben nahe kommen lassen, und der Natur der Lauf waͤre gelassen worden. Denn wo keine Vernunft ist, da agirt ein Thier mechanice und physica necessitate nach den Bildern, die ihm eingedruͤckt sind. So lange aber noch Verstand und Vernunft vorhanden, so hat ein Mensch noch Macht, durch dieselbe die Phantasie zu uͤberwinden, und doch nicht nach dem Bilde zu handeln, das er im Gehirne hat; es muͤßte denn die allzulebhafte Vorstellung eine Uebereilung verursachen. Saß ich damahls, oder stand nahe bei Einem, so mußte ich mir oft den Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anspiee, wenn er gleich mein Freund war, und ich alle Liebe zu ihm hatte, so daß ich gar nicht wußte, warum ich ihn anspeien sollte; denn das Anspeien kam mir so deutlich vor, als ob es geschaͤhe; oder ich schlug ihn in Gedanken mit der Hand in's Ange-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0125" n="123"/><lb/>
so durfte ich keinem Ofen zu nahe kommen; denn ich hatte eine                   solche lebendige Jdee und Bild bei aller sonst ruhigen Gemu&#x0364;thsdisposition, als ob                   ich mit dem Kopfe wider denselben liefe, daß ich mir auch den Kopf mit der Hand,                   oder etwas vor dem Kopf im hin- und hergehen vorhalten mußte, damit ich nur den                   Ofen nicht sehen du&#x0364;rfte. Wa&#x0364;re damahls der Verstand durch schlaflose Na&#x0364;chte, oder                   durch andere Ursachen verloren gegangen; so bin ich gewiß, daß ich <hi rendition="#aq">mechanice</hi> und <hi rendition="#aq">brutaliter</hi> nach                   diesem Bilde der Jmagination wu&#x0364;rde agirt und gewu&#x0364;rkt haben, <hi rendition="#aq">v.g.</hi> wider den Ofen gelaufen seyn, so man mich demselben nahe kommen                   lassen, und der Natur der Lauf wa&#x0364;re gelassen worden. Denn wo keine Vernunft ist,                   da agirt ein Thier <hi rendition="#i">mechanice</hi> <hi rendition="#b">und</hi> <hi rendition="#i">physica necessitate</hi> <hi rendition="#b">nach den Bildern, die ihm eingedru&#x0364;ckt sind.</hi> So lange aber                   noch Verstand und Vernunft vorhanden, so hat ein Mensch noch Macht, durch dieselbe                   die Phantasie zu u&#x0364;berwinden, und doch nicht nach dem Bilde zu handeln, das er im                   Gehirne hat; es mu&#x0364;ßte denn die allzulebhafte Vorstellung eine Uebereilung                   verursachen. Saß ich damahls, oder stand nahe bei Einem, so mußte ich mir oft den                   Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anspiee, wenn er gleich mein Freund war, und ich                   alle Liebe zu ihm hatte, so daß ich gar nicht wußte, warum ich ihn anspeien                   sollte; denn das Anspeien kam mir so deutlich vor, als ob es gescha&#x0364;he; oder ich                   schlug ihn in Gedanken mit der Hand in's Ange-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0125] so durfte ich keinem Ofen zu nahe kommen; denn ich hatte eine solche lebendige Jdee und Bild bei aller sonst ruhigen Gemuͤthsdisposition, als ob ich mit dem Kopfe wider denselben liefe, daß ich mir auch den Kopf mit der Hand, oder etwas vor dem Kopf im hin- und hergehen vorhalten mußte, damit ich nur den Ofen nicht sehen duͤrfte. Waͤre damahls der Verstand durch schlaflose Naͤchte, oder durch andere Ursachen verloren gegangen; so bin ich gewiß, daß ich mechanice und brutaliter nach diesem Bilde der Jmagination wuͤrde agirt und gewuͤrkt haben, v.g. wider den Ofen gelaufen seyn, so man mich demselben nahe kommen lassen, und der Natur der Lauf waͤre gelassen worden. Denn wo keine Vernunft ist, da agirt ein Thier mechanice und physica necessitate nach den Bildern, die ihm eingedruͤckt sind. So lange aber noch Verstand und Vernunft vorhanden, so hat ein Mensch noch Macht, durch dieselbe die Phantasie zu uͤberwinden, und doch nicht nach dem Bilde zu handeln, das er im Gehirne hat; es muͤßte denn die allzulebhafte Vorstellung eine Uebereilung verursachen. Saß ich damahls, oder stand nahe bei Einem, so mußte ich mir oft den Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anspiee, wenn er gleich mein Freund war, und ich alle Liebe zu ihm hatte, so daß ich gar nicht wußte, warum ich ihn anspeien sollte; denn das Anspeien kam mir so deutlich vor, als ob es geschaͤhe; oder ich schlug ihn in Gedanken mit der Hand in's Ange-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/125
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/125>, abgerufen am 04.12.2024.