Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Am Ende setzt der hinzu: "Sie war übrigens eine Person von sehr lebhaften Temperament und feuriger Einbildungskraft, schien einen sehr feinen Nervenbau zu haben, mithin sehr empfindsam, ungemein biegsam und weich, und von sehr zärtlichem Gewissen. Jch habe das fast bei allen denen gefunden, die mit ihr ähnliche Vorfälle gehabt, und dieß oder jenes vorausgesehen, oder wenigstens voraussehen zu können geglaubt haben". Eine sehr richtige Bemerkung,die der Psychologe bei Untersuchung der Ahndungen nie ausser Acht lassen sollte, weil der Herr Kirchenrathkörperliche Theil des Menschen oft gerade den meisten Antheil an gewissen vorgegebenen Vorgefühlen künftiger Uebel hat. - Es ist daher auch gar kein Wunder, daß solche Vorgefühle sich am meisten bei dergleichen Leuten äußern; nicht weil sie würkliche Vorgefühle hätten; sondern weil sie sich dieselben leicht einbilden, da denn hie und da einmahl eins in Erfüllung gehen kann. Der Tod ist vornehmlich für lebhafte Leute ein fruchtbarer Gegenstand vieler und oft sonderbarer Gefühle und Einbildungen; sie glauben oft sichere Phänomene an sich bemerkt zu haben, daß sie bald sterben würden, bisweilen bestärken sie die
Am Ende setzt der hinzu: »Sie war uͤbrigens eine Person von sehr lebhaften Temperament und feuriger Einbildungskraft, schien einen sehr feinen Nervenbau zu haben, mithin sehr empfindsam, ungemein biegsam und weich, und von sehr zaͤrtlichem Gewissen. Jch habe das fast bei allen denen gefunden, die mit ihr aͤhnliche Vorfaͤlle gehabt, und dieß oder jenes vorausgesehen, oder wenigstens voraussehen zu koͤnnen geglaubt haben«. Eine sehr richtige Bemerkung,die der Psychologe bei Untersuchung der Ahndungen nie ausser Acht lassen sollte, weil der Herr Kirchenrathkoͤrperliche Theil des Menschen oft gerade den meisten Antheil an gewissen vorgegebenen Vorgefuͤhlen kuͤnftiger Uebel hat. – Es ist daher auch gar kein Wunder, daß solche Vorgefuͤhle sich am meisten bei dergleichen Leuten aͤußern; nicht weil sie wuͤrkliche Vorgefuͤhle haͤtten; sondern weil sie sich dieselben leicht einbilden, da denn hie und da einmahl eins in Erfuͤllung gehen kann. Der Tod ist vornehmlich fuͤr lebhafte Leute ein fruchtbarer Gegenstand vieler und oft sonderbarer Gefuͤhle und Einbildungen; sie glauben oft sichere Phaͤnomene an sich bemerkt zu haben, daß sie bald sterben wuͤrden, bisweilen bestaͤrken sie die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="11"/><lb/> ker werdenden Gefuͤhl ihrer Schmerzen, ihren Kindern versicherte: daß sie gewiß sterben werde. Sie starb auch wuͤrklich nicht lange darauf am Brande im Eingeweide.</p> <p>Am Ende setzt der <persName ref="#ref0110"><note type="editorial">Hennig, Georg Ernst Sigismund</note>Herr Kirchenrath</persName> hinzu: »Sie war uͤbrigens eine Person von sehr lebhaften Temperament und feuriger Einbildungskraft, schien einen sehr feinen Nervenbau zu haben, mithin sehr empfindsam, ungemein biegsam und weich, und von sehr zaͤrtlichem Gewissen. Jch habe das fast bei allen denen gefunden, die mit ihr aͤhnliche Vorfaͤlle gehabt, und dieß oder jenes vorausgesehen, oder wenigstens voraussehen zu koͤnnen geglaubt haben«. Eine sehr richtige Bemerkung,die der Psychologe bei Untersuchung der Ahndungen nie ausser Acht lassen sollte, weil der <hi rendition="#b">koͤrperliche Theil</hi> des Menschen oft gerade den <hi rendition="#b">meisten Antheil</hi> an gewissen vorgegebenen Vorgefuͤhlen kuͤnftiger Uebel hat. –</p> <p>Es ist daher auch gar kein Wunder, daß solche Vorgefuͤhle sich am meisten bei <hi rendition="#b">dergleichen</hi> Leuten aͤußern; nicht weil sie <hi rendition="#b">wuͤrkliche</hi> Vorgefuͤhle haͤtten; sondern weil sie sich dieselben leicht <hi rendition="#b">einbilden,</hi> da denn hie und da einmahl eins in Erfuͤllung gehen kann. Der Tod ist vornehmlich fuͤr lebhafte Leute ein fruchtbarer Gegenstand vieler und oft <hi rendition="#b">sonderbarer</hi> Gefuͤhle und Einbildungen; sie glauben oft sichere <choice><corr>Phaͤnomene</corr><sic>Phoͤnomene</sic></choice> an sich bemerkt <choice><corr>zu</corr><sic>zn</sic></choice> haben, daß sie bald sterben wuͤrden, bisweilen bestaͤrken sie die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0013]
ker werdenden Gefuͤhl ihrer Schmerzen, ihren Kindern versicherte: daß sie gewiß sterben werde. Sie starb auch wuͤrklich nicht lange darauf am Brande im Eingeweide.
Am Ende setzt der Herr Kirchenrath hinzu: »Sie war uͤbrigens eine Person von sehr lebhaften Temperament und feuriger Einbildungskraft, schien einen sehr feinen Nervenbau zu haben, mithin sehr empfindsam, ungemein biegsam und weich, und von sehr zaͤrtlichem Gewissen. Jch habe das fast bei allen denen gefunden, die mit ihr aͤhnliche Vorfaͤlle gehabt, und dieß oder jenes vorausgesehen, oder wenigstens voraussehen zu koͤnnen geglaubt haben«. Eine sehr richtige Bemerkung,die der Psychologe bei Untersuchung der Ahndungen nie ausser Acht lassen sollte, weil der koͤrperliche Theil des Menschen oft gerade den meisten Antheil an gewissen vorgegebenen Vorgefuͤhlen kuͤnftiger Uebel hat. –
Es ist daher auch gar kein Wunder, daß solche Vorgefuͤhle sich am meisten bei dergleichen Leuten aͤußern; nicht weil sie wuͤrkliche Vorgefuͤhle haͤtten; sondern weil sie sich dieselben leicht einbilden, da denn hie und da einmahl eins in Erfuͤllung gehen kann. Der Tod ist vornehmlich fuͤr lebhafte Leute ein fruchtbarer Gegenstand vieler und oft sonderbarer Gefuͤhle und Einbildungen; sie glauben oft sichere Phaͤnomene an sich bemerkt zu haben, daß sie bald sterben wuͤrden, bisweilen bestaͤrken sie die
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