Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Weil mir vornehmlich darum zu thun war, von ihm vielleicht selbst zu erfahren, wie in ihm nach und nach seine unmäßige Geldbegierde entstanden sei, so lenkte ich unvermerkt mein Gespräch dahin, zumahl da ich sahe, daß er einiges Zutrauen gegen mich gefaßt hatte, indem er mich zu seinem Hofmeister zu haben wünschte, und erhielt darauf aus seinem eigenen Munde folgendes sonderbare und freie Geständniß vor der ganzen Tischgesellschaft: "Geitz und Geldbegierde, hub er an, sind mir gleichsam angeboren, und es ist mir durchaus nicht möglich, sie abzulegen. Ein innerer, unwillkürlicher Jnstinkt, wovon ich sehr gut weiß, daß er unrecht ist, treibt mich zum Stehlen an, und macht mich höchst unruhig, solange ich den Gegenstand, zu dessen Besitz ich einige Hofnung habe, noch nicht erlangen kann." Jch dachte still über dieses sonderbare Phänomen bei mir nach, als er sich auf einmahl mit leiser Stimme zu mir wandte, und mit sichtbarer Aengstlichkeit im Gesicht fragte: ob ich ihm wohl einige Groschen leihen wolle? Jch war schon vorher von der Gesellschaft gewarnt worden, ihm, im Fall er mich um etwas bitten sollte, durchaus nichts zu geben, daher ich ihm auch seine Bitte mit den Worten: daß er ein reicher Mann sey und von mir nichts bedürfe, geradezu abschlug. Dieß setzte ihn aber
Weil mir vornehmlich darum zu thun war, von ihm vielleicht selbst zu erfahren, wie in ihm nach und nach seine unmaͤßige Geldbegierde entstanden sei, so lenkte ich unvermerkt mein Gespraͤch dahin, zumahl da ich sahe, daß er einiges Zutrauen gegen mich gefaßt hatte, indem er mich zu seinem Hofmeister zu haben wuͤnschte, und erhielt darauf aus seinem eigenen Munde folgendes sonderbare und freie Gestaͤndniß vor der ganzen Tischgesellschaft: »Geitz und Geldbegierde, hub er an, sind mir gleichsam angeboren, und es ist mir durchaus nicht moͤglich, sie abzulegen. Ein innerer, unwillkuͤrlicher Jnstinkt, wovon ich sehr gut weiß, daß er unrecht ist, treibt mich zum Stehlen an, und macht mich hoͤchst unruhig, solange ich den Gegenstand, zu dessen Besitz ich einige Hofnung habe, noch nicht erlangen kann.« Jch dachte still uͤber dieses sonderbare Phaͤnomen bei mir nach, als er sich auf einmahl mit leiser Stimme zu mir wandte, und mit sichtbarer Aengstlichkeit im Gesicht fragte: ob ich ihm wohl einige Groschen leihen wolle? Jch war schon vorher von der Gesellschaft gewarnt worden, ihm, im Fall er mich um etwas bitten sollte, durchaus nichts zu geben, daher ich ihm auch seine Bitte mit den Worten: daß er ein reicher Mann sey und von mir nichts beduͤrfe, geradezu abschlug. Dieß setzte ihn aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0027" n="25"/><lb/> daß ich ihm hierin Glauben beimessen koͤnne, franzoͤsisch zu sprechen anfing.</p> <p>Weil mir vornehmlich darum zu thun war, von ihm vielleicht selbst zu erfahren, <hi rendition="#b">wie </hi>in ihm nach und nach seine unmaͤßige Geldbegierde entstanden sei, so lenkte ich unvermerkt mein Gespraͤch dahin, zumahl da ich sahe, daß er einiges Zutrauen gegen mich gefaßt hatte, indem er mich zu seinem Hofmeister zu haben wuͤnschte, und erhielt darauf aus seinem eigenen Munde folgendes sonderbare und freie Gestaͤndniß vor der ganzen Tischgesellschaft:</p> <p rend="indention2">»Geitz und Geldbegierde, hub er an, sind mir gleichsam angeboren, und es ist mir durchaus nicht moͤglich, sie abzulegen. Ein innerer, unwillkuͤrlicher Jnstinkt, wovon ich sehr gut weiß, daß er unrecht ist, treibt mich zum Stehlen an, und macht mich hoͤchst unruhig, solange ich den Gegenstand, zu dessen Besitz ich einige Hofnung habe, noch nicht erlangen kann.«</p> <p>Jch dachte still uͤber dieses sonderbare <choice><corr>Phaͤnomen</corr><sic>Phoͤnomen</sic></choice> bei mir nach, als er sich auf einmahl mit leiser Stimme zu mir wandte, und mit sichtbarer Aengstlichkeit im Gesicht fragte: ob ich ihm wohl einige Groschen leihen wolle? Jch war schon vorher von der Gesellschaft gewarnt worden, ihm, im Fall er mich um etwas bitten sollte, durchaus nichts zu geben, daher ich ihm auch seine Bitte mit den Worten: daß er ein reicher Mann sey und von mir nichts beduͤrfe, geradezu abschlug. Dieß setzte ihn aber<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0027]
daß ich ihm hierin Glauben beimessen koͤnne, franzoͤsisch zu sprechen anfing.
Weil mir vornehmlich darum zu thun war, von ihm vielleicht selbst zu erfahren, wie in ihm nach und nach seine unmaͤßige Geldbegierde entstanden sei, so lenkte ich unvermerkt mein Gespraͤch dahin, zumahl da ich sahe, daß er einiges Zutrauen gegen mich gefaßt hatte, indem er mich zu seinem Hofmeister zu haben wuͤnschte, und erhielt darauf aus seinem eigenen Munde folgendes sonderbare und freie Gestaͤndniß vor der ganzen Tischgesellschaft:
»Geitz und Geldbegierde, hub er an, sind mir gleichsam angeboren, und es ist mir durchaus nicht moͤglich, sie abzulegen. Ein innerer, unwillkuͤrlicher Jnstinkt, wovon ich sehr gut weiß, daß er unrecht ist, treibt mich zum Stehlen an, und macht mich hoͤchst unruhig, solange ich den Gegenstand, zu dessen Besitz ich einige Hofnung habe, noch nicht erlangen kann.«
Jch dachte still uͤber dieses sonderbare Phaͤnomen bei mir nach, als er sich auf einmahl mit leiser Stimme zu mir wandte, und mit sichtbarer Aengstlichkeit im Gesicht fragte: ob ich ihm wohl einige Groschen leihen wolle? Jch war schon vorher von der Gesellschaft gewarnt worden, ihm, im Fall er mich um etwas bitten sollte, durchaus nichts zu geben, daher ich ihm auch seine Bitte mit den Worten: daß er ein reicher Mann sey und von mir nichts beduͤrfe, geradezu abschlug. Dieß setzte ihn aber
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/27>, abgerufen am 16.07.2024. |