Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


wurde von dem Anblicke einer solchen Tafel, noch mehr aber von den aufsteigenden Wohlgerüchen wie bezaubert, und er wünschte nichts mehr, als einmahl von dem Uebriggebliebenen etwas kosten zu dürfen. Sein Appetit war auch eines Tages so ausserordentlich stark danach geworden, daß er es wagte einen Bedienten der fürstlichen Tafel um etwas Fleisch anzusprechen, welches er auch erhielt. Diese Bettelei setzte er nun von Tag zu Tage fort, und war zufrieden, wenn ihm die Bedienten auch nur bloße Knochen hinwarfen. Was er nicht verzehren konnte, trug er nach Hause, und damahls soll er zuerst sein Speisemagazin zu errichten angefangen haben.

Offenbar bemerkt man bei einiger Aufmerksamkeit an dem armen Menschen eine Lähmung und Schwäche der Seele, welche ohngefähr in seinem vierzehnten Jahre angefangen haben soll, um welche Zeit er oft Schwindel bekam, und bei Tische oft halbe Stundenlang, ohne auf die ihm vorgelegten Fragen zu antworten, still saß. Man sieht es ihm an, daß ihm ein zusammenhängendes Denken nicht selten schwer wird, so gern er sich auch mit andern zu unterhalten pflegt, daß sich seine Begriffe confundiren, und sich unwillkürlich von einander trennen, welches wahrscheinlich alles Folgen seiner äusserst geschwächten und nervenlamen Natur sind.

Jn dieser seiner geschwächten Natur liegt auch ohnstreitig der Grund, daß er seine Begierden zum


wurde von dem Anblicke einer solchen Tafel, noch mehr aber von den aufsteigenden Wohlgeruͤchen wie bezaubert, und er wuͤnschte nichts mehr, als einmahl von dem Uebriggebliebenen etwas kosten zu duͤrfen. Sein Appetit war auch eines Tages so ausserordentlich stark danach geworden, daß er es wagte einen Bedienten der fuͤrstlichen Tafel um etwas Fleisch anzusprechen, welches er auch erhielt. Diese Bettelei setzte er nun von Tag zu Tage fort, und war zufrieden, wenn ihm die Bedienten auch nur bloße Knochen hinwarfen. Was er nicht verzehren konnte, trug er nach Hause, und damahls soll er zuerst sein Speisemagazin zu errichten angefangen haben.

Offenbar bemerkt man bei einiger Aufmerksamkeit an dem armen Menschen eine Laͤhmung und Schwaͤche der Seele, welche ohngefaͤhr in seinem vierzehnten Jahre angefangen haben soll, um welche Zeit er oft Schwindel bekam, und bei Tische oft halbe Stundenlang, ohne auf die ihm vorgelegten Fragen zu antworten, still saß. Man sieht es ihm an, daß ihm ein zusammenhaͤngendes Denken nicht selten schwer wird, so gern er sich auch mit andern zu unterhalten pflegt, daß sich seine Begriffe confundiren, und sich unwillkuͤrlich von einander trennen, welches wahrscheinlich alles Folgen seiner aͤusserst geschwaͤchten und nervenlamen Natur sind.

Jn dieser seiner geschwaͤchten Natur liegt auch ohnstreitig der Grund, daß er seine Begierden zum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0033" n="31"/><lb/>
wurde von dem                   Anblicke einer solchen Tafel, noch mehr aber von den aufsteigenden Wohlgeru&#x0364;chen                   wie bezaubert, und er wu&#x0364;nschte nichts mehr, als einmahl von dem Uebriggebliebenen                   etwas kosten zu du&#x0364;rfen. Sein Appetit war auch eines Tages so ausserordentlich                   stark danach geworden, daß er es wagte einen Bedienten der fu&#x0364;rstlichen Tafel um                   etwas Fleisch anzusprechen, welches er auch erhielt. Diese Bettelei setzte er nun                   von Tag zu Tage fort, und war zufrieden, wenn ihm die Bedienten auch nur bloße                   Knochen hinwarfen. Was er nicht verzehren konnte, trug er nach Hause, und damahls                   soll er zuerst sein Speisemagazin zu errichten angefangen haben.</p>
            <p>Offenbar bemerkt man bei einiger Aufmerksamkeit an dem armen Menschen eine La&#x0364;hmung                   und Schwa&#x0364;che der Seele, welche ohngefa&#x0364;hr in seinem vierzehnten Jahre angefangen                   haben soll, um welche Zeit er oft Schwindel bekam, und bei Tische oft halbe                   Stundenlang, ohne auf die ihm vorgelegten Fragen zu antworten, still saß. Man                   sieht es ihm an, daß ihm ein zusammenha&#x0364;ngendes Denken nicht selten schwer wird, so                   gern er sich auch mit andern zu unterhalten pflegt, daß sich seine Begriffe                   confundiren, und sich unwillku&#x0364;rlich von einander trennen, welches wahrscheinlich                   alles Folgen seiner a&#x0364;usserst geschwa&#x0364;chten und nervenlamen Natur sind.</p>
            <p>Jn dieser seiner geschwa&#x0364;chten Natur liegt auch ohnstreitig der Grund, daß er seine                   Begierden zum<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0033] wurde von dem Anblicke einer solchen Tafel, noch mehr aber von den aufsteigenden Wohlgeruͤchen wie bezaubert, und er wuͤnschte nichts mehr, als einmahl von dem Uebriggebliebenen etwas kosten zu duͤrfen. Sein Appetit war auch eines Tages so ausserordentlich stark danach geworden, daß er es wagte einen Bedienten der fuͤrstlichen Tafel um etwas Fleisch anzusprechen, welches er auch erhielt. Diese Bettelei setzte er nun von Tag zu Tage fort, und war zufrieden, wenn ihm die Bedienten auch nur bloße Knochen hinwarfen. Was er nicht verzehren konnte, trug er nach Hause, und damahls soll er zuerst sein Speisemagazin zu errichten angefangen haben. Offenbar bemerkt man bei einiger Aufmerksamkeit an dem armen Menschen eine Laͤhmung und Schwaͤche der Seele, welche ohngefaͤhr in seinem vierzehnten Jahre angefangen haben soll, um welche Zeit er oft Schwindel bekam, und bei Tische oft halbe Stundenlang, ohne auf die ihm vorgelegten Fragen zu antworten, still saß. Man sieht es ihm an, daß ihm ein zusammenhaͤngendes Denken nicht selten schwer wird, so gern er sich auch mit andern zu unterhalten pflegt, daß sich seine Begriffe confundiren, und sich unwillkuͤrlich von einander trennen, welches wahrscheinlich alles Folgen seiner aͤusserst geschwaͤchten und nervenlamen Natur sind. Jn dieser seiner geschwaͤchten Natur liegt auch ohnstreitig der Grund, daß er seine Begierden zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/33
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/33>, abgerufen am 23.11.2024.