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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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lichkeit zum andern. Aber merkwürdiger und sonderbarer scheint mir die Art Liebe zu seyn, welche nach einem langen völlig gleichgültigen Umgange zweier Personen sich, gleich eines schnellen elektrischen Schlages, ihrer Herzen bemächtigt. Hievon kann ich folgendes zuverläßige Beispiel mittheilen.

Die liebenswürdige Gattin eines unserer vortreflichsten tragischen Dichter, kannte ihren Mann lange vorher, ehe sie wußte, daß er um ihre Hand anhalten würde. Sie hatte ihn oft in Gesellschaften gesehen; aber sie hatte auch nie auf die entfernteste Art eine zärtliche Neigung gegen ihn empfunden; im Gegentheil war er ihr, da er selbst etwas kalt gegen das schöne Geschlecht zu seyn schien, auch immer ganz gleichgültig gewesen; sie hatte sich sogar oft über seinen Anstand, der selten bei großen Köpfen der beste ist, mit ihren Freundinnen lustig gemacht, und das war noch an dem Tage geschehen, als sie auf einmahl für ihn, ohne seine Veranlassung, eingenommen wurde. Er war mit ihr in Gesellschaft, die Gesellschaft hatte sich in dem Garten zerstreut, und das liebenswürdige Mädchen wollte eben die Allee hinaufgehen, als er ganz nachläßig in derselben heruntergeschlichen kam. Jn dem Augenblick machte er einen tiefen Eindruck auf ihr Herz, sie fühlte, daß sich ihr Gesicht mit einer plötzlichen Röthe überzog, - und wünschte ihm ihre Hand geben zu können.



lichkeit zum andern. Aber merkwuͤrdiger und sonderbarer scheint mir die Art Liebe zu seyn, welche nach einem langen voͤllig gleichguͤltigen Umgange zweier Personen sich, gleich eines schnellen elektrischen Schlages, ihrer Herzen bemaͤchtigt. Hievon kann ich folgendes zuverlaͤßige Beispiel mittheilen.

Die liebenswuͤrdige Gattin eines unserer vortreflichsten tragischen Dichter, kannte ihren Mann lange vorher, ehe sie wußte, daß er um ihre Hand anhalten wuͤrde. Sie hatte ihn oft in Gesellschaften gesehen; aber sie hatte auch nie auf die entfernteste Art eine zaͤrtliche Neigung gegen ihn empfunden; im Gegentheil war er ihr, da er selbst etwas kalt gegen das schoͤne Geschlecht zu seyn schien, auch immer ganz gleichguͤltig gewesen; sie hatte sich sogar oft uͤber seinen Anstand, der selten bei großen Koͤpfen der beste ist, mit ihren Freundinnen lustig gemacht, und das war noch an dem Tage geschehen, als sie auf einmahl fuͤr ihn, ohne seine Veranlassung, eingenommen wurde. Er war mit ihr in Gesellschaft, die Gesellschaft hatte sich in dem Garten zerstreut, und das liebenswuͤrdige Maͤdchen wollte eben die Allee hinaufgehen, als er ganz nachlaͤßig in derselben heruntergeschlichen kam. Jn dem Augenblick machte er einen tiefen Eindruck auf ihr Herz, sie fuͤhlte, daß sich ihr Gesicht mit einer ploͤtzlichen Roͤthe uͤberzog, – und wuͤnschte ihm ihre Hand geben zu koͤnnen.


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[54/0056] lichkeit zum andern. Aber merkwuͤrdiger und sonderbarer scheint mir die Art Liebe zu seyn, welche nach einem langen voͤllig gleichguͤltigen Umgange zweier Personen sich, gleich eines schnellen elektrischen Schlages, ihrer Herzen bemaͤchtigt. Hievon kann ich folgendes zuverlaͤßige Beispiel mittheilen. Die liebenswuͤrdige Gattin eines unserer vortreflichsten tragischen Dichter, kannte ihren Mann lange vorher, ehe sie wußte, daß er um ihre Hand anhalten wuͤrde. Sie hatte ihn oft in Gesellschaften gesehen; aber sie hatte auch nie auf die entfernteste Art eine zaͤrtliche Neigung gegen ihn empfunden; im Gegentheil war er ihr, da er selbst etwas kalt gegen das schoͤne Geschlecht zu seyn schien, auch immer ganz gleichguͤltig gewesen; sie hatte sich sogar oft uͤber seinen Anstand, der selten bei großen Koͤpfen der beste ist, mit ihren Freundinnen lustig gemacht, und das war noch an dem Tage geschehen, als sie auf einmahl fuͤr ihn, ohne seine Veranlassung, eingenommen wurde. Er war mit ihr in Gesellschaft, die Gesellschaft hatte sich in dem Garten zerstreut, und das liebenswuͤrdige Maͤdchen wollte eben die Allee hinaufgehen, als er ganz nachlaͤßig in derselben heruntergeschlichen kam. Jn dem Augenblick machte er einen tiefen Eindruck auf ihr Herz, sie fuͤhlte, daß sich ihr Gesicht mit einer ploͤtzlichen Roͤthe uͤberzog, – und wuͤnschte ihm ihre Hand geben zu koͤnnen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/56>, abgerufen am 24.11.2024.