Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Gegen diejenigen Menschen, welche mich auf irgend eine Art vorzuziehen scheinen, fühle ich eine unbegränzte Zärtlichkeit meines Herzens. Jch könnte mich für sie ganz aufopfern, ganz für sie leben; meine Dankbarkeit gegen sie erwacht mit mir des Morgens, und ist mein letzter Abendgedanke; ich kann ihnen nichts abschlagen, sie beherrschen mich, und erst der Tod wird meiner unermüdeten Dienstfertigkeit gegen sie ein Ende machen. Wenn ich bisweilen unter dem Gebürge meiner Hypochondrie vergraben liege, wenn ich glaube, daß mich die ganze Welt verlassen und vergessen hat; so eile ich zu diesen mir so schätzbaren Menschen, und hohle bei ihnen Trost gegen den vielfältigen Kummer meines Herzens, dem die Menschen so oft, ach so oft! wehe gethan haben. Jhr freundlicher Blick gießt neues Leben in meine Seele, - ich fühle mich
Gegen diejenigen Menschen, welche mich auf irgend eine Art vorzuziehen scheinen, fuͤhle ich eine unbegraͤnzte Zaͤrtlichkeit meines Herzens. Jch koͤnnte mich fuͤr sie ganz aufopfern, ganz fuͤr sie leben; meine Dankbarkeit gegen sie erwacht mit mir des Morgens, und ist mein letzter Abendgedanke; ich kann ihnen nichts abschlagen, sie beherrschen mich, und erst der Tod wird meiner unermuͤdeten Dienstfertigkeit gegen sie ein Ende machen. Wenn ich bisweilen unter dem Gebuͤrge meiner Hypochondrie vergraben liege, wenn ich glaube, daß mich die ganze Welt verlassen und vergessen hat; so eile ich zu diesen mir so schaͤtzbaren Menschen, und hohle bei ihnen Trost gegen den vielfaͤltigen Kummer meines Herzens, dem die Menschen so oft, ach so oft! wehe gethan haben. Jhr freundlicher Blick gießt neues Leben in meine Seele, – ich fuͤhle mich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0082" n="80"/><lb/> saisten aufzusuchen, und uͤber sie im Stillen oder in Gegenwart eines Freundes ein unbarmherziges Gericht zu halten. Meine Critik trift vornehmlich die, welche sich – so mittelmaͤßig sie auch immer seyn moͤgen – sich (vielleicht durch ihre Mittelmaͤßigkeit allein) sehr beruͤhmt gemacht haben. Es kostet mir Muͤhe und Ueberwindung, ihre Bloͤßen nicht oͤffentlich aufzudecken, und ich kann mich im Voraus schon herzlich auf ein kuͤnftiges Zeitalter freuen, welches ihnen die Larve kuͤhn vom Gesicht reißen, und sie der Geißel der Critik uͤbergeben wird.</p> <p>Gegen diejenigen Menschen, welche mich auf irgend eine Art vorzuziehen scheinen, fuͤhle ich eine unbegraͤnzte <hi rendition="#b">Zaͤrtlichkeit</hi> meines Herzens. Jch koͤnnte mich fuͤr sie ganz aufopfern, ganz fuͤr sie leben; meine Dankbarkeit gegen sie erwacht mit mir des Morgens, und ist mein letzter Abendgedanke; ich kann ihnen nichts abschlagen, sie beherrschen mich, und erst der Tod wird meiner unermuͤdeten Dienstfertigkeit gegen sie ein Ende machen. Wenn ich bisweilen unter dem Gebuͤrge meiner Hypochondrie vergraben liege, wenn ich glaube, daß mich die ganze Welt verlassen und vergessen hat; so eile ich zu diesen mir so schaͤtzbaren Menschen, und hohle bei ihnen Trost gegen den vielfaͤltigen Kummer meines Herzens, dem die Menschen so oft, ach so oft! wehe gethan haben. Jhr freundlicher Blick gießt neues Leben in meine Seele, – ich fuͤhle mich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0082]
saisten aufzusuchen, und uͤber sie im Stillen oder in Gegenwart eines Freundes ein unbarmherziges Gericht zu halten. Meine Critik trift vornehmlich die, welche sich – so mittelmaͤßig sie auch immer seyn moͤgen – sich (vielleicht durch ihre Mittelmaͤßigkeit allein) sehr beruͤhmt gemacht haben. Es kostet mir Muͤhe und Ueberwindung, ihre Bloͤßen nicht oͤffentlich aufzudecken, und ich kann mich im Voraus schon herzlich auf ein kuͤnftiges Zeitalter freuen, welches ihnen die Larve kuͤhn vom Gesicht reißen, und sie der Geißel der Critik uͤbergeben wird.
Gegen diejenigen Menschen, welche mich auf irgend eine Art vorzuziehen scheinen, fuͤhle ich eine unbegraͤnzte Zaͤrtlichkeit meines Herzens. Jch koͤnnte mich fuͤr sie ganz aufopfern, ganz fuͤr sie leben; meine Dankbarkeit gegen sie erwacht mit mir des Morgens, und ist mein letzter Abendgedanke; ich kann ihnen nichts abschlagen, sie beherrschen mich, und erst der Tod wird meiner unermuͤdeten Dienstfertigkeit gegen sie ein Ende machen. Wenn ich bisweilen unter dem Gebuͤrge meiner Hypochondrie vergraben liege, wenn ich glaube, daß mich die ganze Welt verlassen und vergessen hat; so eile ich zu diesen mir so schaͤtzbaren Menschen, und hohle bei ihnen Trost gegen den vielfaͤltigen Kummer meines Herzens, dem die Menschen so oft, ach so oft! wehe gethan haben. Jhr freundlicher Blick gießt neues Leben in meine Seele, – ich fuͤhle mich
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/82>, abgerufen am 16.02.2025. |