Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Da aber konnten wir auch würklich fühlen die Größe des Verlustes all' der vergangenen Kinderfreuden und den Werth der Kindheit vor all' dem künftigen Leben, dem ein so sichtbarer empfindlicher Kontrast folgte. Du weist Bruder, wie das finstre Schicksal da schon in der Blüthe uns traf. Mangel an den Nothwendigkeiten unsers Lebens machte uns muthlos, zum Theil auch Mangel an Büchern und stetes kummervolles Streben ein Mittel aufzufinden, benahm uns alle Lebensfreuden. Mit einem Worte: wir empfanden schon das Loos der Dürftigen in seinem ganzen Umfange, auf seiner ganzen empfindlichen Seite. Wir lernten aber auch da schon Welt und Menschen kennen; wie sichtbar war uns nicht die Ver-
Da aber konnten wir auch wuͤrklich fuͤhlen die Groͤße des Verlustes all' der vergangenen Kinderfreuden und den Werth der Kindheit vor all' dem kuͤnftigen Leben, dem ein so sichtbarer empfindlicher Kontrast folgte. Du weist Bruder, wie das finstre Schicksal da schon in der Bluͤthe uns traf. Mangel an den Nothwendigkeiten unsers Lebens machte uns muthlos, zum Theil auch Mangel an Buͤchern und stetes kummervolles Streben ein Mittel aufzufinden, benahm uns alle Lebensfreuden. Mit einem Worte: wir empfanden schon das Loos der Duͤrftigen in seinem ganzen Umfange, auf seiner ganzen empfindlichen Seite. Wir lernten aber auch da schon Welt und Menschen kennen; wie sichtbar war uns nicht die Ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0111" n="111"/><lb/> weißt du noch Bruder! wie floßen nicht die drei ersten Tage die Thraͤnen uͤber meine Wangen! wie klagte ich laut uͤber mein Schicksal! wie mußte ich eben so viele Naͤchte schlaflos mit Weinen und Jammern zubringen! und wie war ich so am ganzen Leibe krank! und gewiß, wenn du nicht bei mir gewesen waͤrest, oder dasselbe empfindliche Herz gehabt, mich eben den Kummer an deinem Gesichte haͤttest erblicken lassen; gewiß, die Krankheit waͤre so lange unheilbar geblieben, bis der Grund gehoben worden waͤre; es schmeckte mir kein Essen, keine Freude, kein Vergnuͤgen; abzehrend von Harm und den quaͤlendsten Empfindungen wuͤrde ich dem Tode entgegengegangen seyn.</p> <p>Da aber konnten wir auch wuͤrklich fuͤhlen die Groͤße des Verlustes all' der vergangenen Kinderfreuden und den Werth der Kindheit vor all' dem kuͤnftigen Leben, dem ein so sichtbarer empfindlicher Kontrast folgte. Du weist Bruder, wie das finstre Schicksal da schon in der Bluͤthe uns traf. Mangel an den Nothwendigkeiten unsers Lebens machte uns muthlos, zum Theil auch Mangel an Buͤchern und stetes kummervolles Streben ein Mittel aufzufinden, benahm uns alle Lebensfreuden. Mit einem Worte: wir empfanden schon das Loos der Duͤrftigen in seinem ganzen Umfange, auf seiner ganzen empfindlichen Seite.</p> <p>Wir lernten aber auch da schon Welt und Menschen kennen; wie sichtbar war uns nicht die Ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0111]
weißt du noch Bruder! wie floßen nicht die drei ersten Tage die Thraͤnen uͤber meine Wangen! wie klagte ich laut uͤber mein Schicksal! wie mußte ich eben so viele Naͤchte schlaflos mit Weinen und Jammern zubringen! und wie war ich so am ganzen Leibe krank! und gewiß, wenn du nicht bei mir gewesen waͤrest, oder dasselbe empfindliche Herz gehabt, mich eben den Kummer an deinem Gesichte haͤttest erblicken lassen; gewiß, die Krankheit waͤre so lange unheilbar geblieben, bis der Grund gehoben worden waͤre; es schmeckte mir kein Essen, keine Freude, kein Vergnuͤgen; abzehrend von Harm und den quaͤlendsten Empfindungen wuͤrde ich dem Tode entgegengegangen seyn.
Da aber konnten wir auch wuͤrklich fuͤhlen die Groͤße des Verlustes all' der vergangenen Kinderfreuden und den Werth der Kindheit vor all' dem kuͤnftigen Leben, dem ein so sichtbarer empfindlicher Kontrast folgte. Du weist Bruder, wie das finstre Schicksal da schon in der Bluͤthe uns traf. Mangel an den Nothwendigkeiten unsers Lebens machte uns muthlos, zum Theil auch Mangel an Buͤchern und stetes kummervolles Streben ein Mittel aufzufinden, benahm uns alle Lebensfreuden. Mit einem Worte: wir empfanden schon das Loos der Duͤrftigen in seinem ganzen Umfange, auf seiner ganzen empfindlichen Seite.
Wir lernten aber auch da schon Welt und Menschen kennen; wie sichtbar war uns nicht die Ver-
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