Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


neuen Angst zu steuren, welche sich die vorige Nacht, da ich vom Schlafe erwacht, bei mir wieder eingefunden. Allein der Spazirgang war nicht viel anders, nur daß die Angst nicht so groß, wie zu Hause war. Auf dem Wege nach Wahren war mein Leib und Haupt so schwach, daß mich ein Becker, der mit Getreide in die Mühle fuhr, aufladen und mitnehmen mußte. Der Fuhrmann war weit genug von dem Flusse entfernt, und doch durfte ich den Fluß nicht mit meinen Augen ansehen, denn das Bild von Ersäufen war so lebendig in mir, und so groß, daß mir von wegen der lebendigen Vorstellung, die wider meinen Willen und mit Gewalt in mir entstand, im Leibe übel wurde, dahero ich meistens den Kopf zur rechten Seite halten und ins freie Feld hinaussehen mußte; ob ich gleich wenig Lust zum Wasser hatte, und dasselbe so sehr als eine Katze scheuete. -- -- -- Am grünen Donnerstage hatte ich anno 1704 durch eine Predigt einigen Trost und Stärkung ins Herz bekommen, und der gegenwärtige grüne Donnerstag war auch schier so beschaffen. Als ich nach der Kirche nach Hause kam, von Angst und Furcht ganz ausgemergelt, warf ich mich auf die Knie und dachte: ich will nicht eher aufstehen, bis mich Gott erhört. Jch redete mit Gott und schüttete mein ganzes Herz aus. -- -- Vertrauen und Hoffnung wuchs zugleich im Gebet, und die Furcht wich großentheils aus dem Herzen. Jch stand aber doch zu bald vom Beten auf, denn


neuen Angst zu steuren, welche sich die vorige Nacht, da ich vom Schlafe erwacht, bei mir wieder eingefunden. Allein der Spazirgang war nicht viel anders, nur daß die Angst nicht so groß, wie zu Hause war. Auf dem Wege nach Wahren war mein Leib und Haupt so schwach, daß mich ein Becker, der mit Getreide in die Muͤhle fuhr, aufladen und mitnehmen mußte. Der Fuhrmann war weit genug von dem Flusse entfernt, und doch durfte ich den Fluß nicht mit meinen Augen ansehen, denn das Bild von Ersaͤufen war so lebendig in mir, und so groß, daß mir von wegen der lebendigen Vorstellung, die wider meinen Willen und mit Gewalt in mir entstand, im Leibe uͤbel wurde, dahero ich meistens den Kopf zur rechten Seite halten und ins freie Feld hinaussehen mußte; ob ich gleich wenig Lust zum Wasser hatte, und dasselbe so sehr als eine Katze scheuete. — — — Am gruͤnen Donnerstage hatte ich anno 1704 durch eine Predigt einigen Trost und Staͤrkung ins Herz bekommen, und der gegenwaͤrtige gruͤne Donnerstag war auch schier so beschaffen. Als ich nach der Kirche nach Hause kam, von Angst und Furcht ganz ausgemergelt, warf ich mich auf die Knie und dachte: ich will nicht eher aufstehen, bis mich Gott erhoͤrt. Jch redete mit Gott und schuͤttete mein ganzes Herz aus. — — Vertrauen und Hoffnung wuchs zugleich im Gebet, und die Furcht wich großentheils aus dem Herzen. Jch stand aber doch zu bald vom Beten auf, denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0029" n="29"/><lb/>
neuen Angst zu steuren, welche sich die vorige Nacht, da                   ich vom Schlafe erwacht, bei mir wieder eingefunden. Allein der Spazirgang war                   nicht viel anders, nur daß die Angst nicht so groß, wie zu Hause war. Auf dem Wege                   nach Wahren war mein Leib und Haupt so schwach, daß mich ein Becker, der mit                   Getreide in die Mu&#x0364;hle fuhr, aufladen und mitnehmen mußte. Der Fuhrmann war weit                   genug von dem Flusse entfernt, und doch durfte ich den Fluß nicht mit meinen Augen                   ansehen, denn das Bild von <hi rendition="#b">Ersa&#x0364;ufen</hi> war so lebendig in                   mir, und so groß, daß mir von wegen der lebendigen Vorstellung, die wider meinen                   Willen und mit Gewalt in mir entstand, im Leibe u&#x0364;bel wurde, dahero ich meistens                   den Kopf zur rechten Seite halten und ins freie Feld hinaussehen mußte; ob ich                   gleich wenig Lust zum Wasser hatte, und dasselbe so sehr als eine Katze scheuete.                   &#x2014; &#x2014; &#x2014; Am gru&#x0364;nen Donnerstage hatte ich <hi rendition="#aq">anno</hi> 1704 durch                   eine Predigt einigen Trost und Sta&#x0364;rkung ins Herz bekommen, und der gegenwa&#x0364;rtige                   gru&#x0364;ne Donnerstag war auch schier so beschaffen. Als ich nach der Kirche nach Hause                   kam, von Angst und Furcht ganz ausgemergelt, warf ich mich auf die Knie und                   dachte: ich will nicht eher aufstehen, bis mich Gott erho&#x0364;rt. Jch redete mit Gott                   und schu&#x0364;ttete mein ganzes Herz aus. &#x2014; &#x2014; Vertrauen und Hoffnung wuchs zugleich im                   Gebet, und die Furcht wich großentheils aus dem Herzen. Jch stand aber doch zu                   bald vom Beten auf, denn<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0029] neuen Angst zu steuren, welche sich die vorige Nacht, da ich vom Schlafe erwacht, bei mir wieder eingefunden. Allein der Spazirgang war nicht viel anders, nur daß die Angst nicht so groß, wie zu Hause war. Auf dem Wege nach Wahren war mein Leib und Haupt so schwach, daß mich ein Becker, der mit Getreide in die Muͤhle fuhr, aufladen und mitnehmen mußte. Der Fuhrmann war weit genug von dem Flusse entfernt, und doch durfte ich den Fluß nicht mit meinen Augen ansehen, denn das Bild von Ersaͤufen war so lebendig in mir, und so groß, daß mir von wegen der lebendigen Vorstellung, die wider meinen Willen und mit Gewalt in mir entstand, im Leibe uͤbel wurde, dahero ich meistens den Kopf zur rechten Seite halten und ins freie Feld hinaussehen mußte; ob ich gleich wenig Lust zum Wasser hatte, und dasselbe so sehr als eine Katze scheuete. — — — Am gruͤnen Donnerstage hatte ich anno 1704 durch eine Predigt einigen Trost und Staͤrkung ins Herz bekommen, und der gegenwaͤrtige gruͤne Donnerstag war auch schier so beschaffen. Als ich nach der Kirche nach Hause kam, von Angst und Furcht ganz ausgemergelt, warf ich mich auf die Knie und dachte: ich will nicht eher aufstehen, bis mich Gott erhoͤrt. Jch redete mit Gott und schuͤttete mein ganzes Herz aus. — — Vertrauen und Hoffnung wuchs zugleich im Gebet, und die Furcht wich großentheils aus dem Herzen. Jch stand aber doch zu bald vom Beten auf, denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/29
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/29>, abgerufen am 21.11.2024.