Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


lungen freylich jenes symbolische Zeichen nicht immer deutlich vor, wir denken sogar oft über eine Sache fort, deren Benennung wir ganz verloren haben; allein dieses widerlegt die Nothwendigkeit einer symbolischen Erkenntniß gar nicht. Jm ersten Fall, wo sich oft Jdeen gegen Jdeen auf einmahl vertauschen, in einander auflösen, und ohne daß wir den Grad ihrer Weile, die jede Vorstellung haben muß, fühlen könnten, unbegreiflich geschwind mit einander abwechseln, stellt sich die menschliche Seele würklich jedes einzelne Wort nur in der möglichst größten Schnelligkeit vor; -- denn wir bemerken es den Augenblick, wenn uns in dem schnellen Fluge unserer Gedanken ein Wort fehlt, und es hat Redner gegeben, die durch den Verlust eines einzigen Wortes bei der schnellen Folge ihrer Gedanken so verwirrt wurden, daß sie den ganzen Faden nicht wiederfinden konnten.

Jm zweiten Fall, wo die menschliche Seele über eine Sache fortdenkt, ohne ihre Benennung behalten zu haben, behält sie doch allemahl eine sehr lebhafte und gleichsam ängstliche Erinnerung, daß es für jene Sache einen würklich symbolischen Ausdruck giebt; aber wie sehr geneigt sie sich fühlt, diesen Ausdruck wieder zu erhaschen, wie sie sich bemüht, auf seine Spur zu kommen, oft auf einmahl alle andere Gedanken abbricht und auf das verlorne Wort denkt, wird ein jeder aus eigener Erfahrung wissen. Verliert sie vollends mehrere Worte auf


lungen freylich jenes symbolische Zeichen nicht immer deutlich vor, wir denken sogar oft uͤber eine Sache fort, deren Benennung wir ganz verloren haben; allein dieses widerlegt die Nothwendigkeit einer symbolischen Erkenntniß gar nicht. Jm ersten Fall, wo sich oft Jdeen gegen Jdeen auf einmahl vertauschen, in einander aufloͤsen, und ohne daß wir den Grad ihrer Weile, die jede Vorstellung haben muß, fuͤhlen koͤnnten, unbegreiflich geschwind mit einander abwechseln, stellt sich die menschliche Seele wuͤrklich jedes einzelne Wort nur in der moͤglichst groͤßten Schnelligkeit vor; — denn wir bemerken es den Augenblick, wenn uns in dem schnellen Fluge unserer Gedanken ein Wort fehlt, und es hat Redner gegeben, die durch den Verlust eines einzigen Wortes bei der schnellen Folge ihrer Gedanken so verwirrt wurden, daß sie den ganzen Faden nicht wiederfinden konnten.

Jm zweiten Fall, wo die menschliche Seele uͤber eine Sache fortdenkt, ohne ihre Benennung behalten zu haben, behaͤlt sie doch allemahl eine sehr lebhafte und gleichsam aͤngstliche Erinnerung, daß es fuͤr jene Sache einen wuͤrklich symbolischen Ausdruck giebt; aber wie sehr geneigt sie sich fuͤhlt, diesen Ausdruck wieder zu erhaschen, wie sie sich bemuͤht, auf seine Spur zu kommen, oft auf einmahl alle andere Gedanken abbricht und auf das verlorne Wort denkt, wird ein jeder aus eigener Erfahrung wissen. Verliert sie vollends mehrere Worte auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="4"/><lb/>
lungen freylich                   jenes symbolische Zeichen <hi rendition="#b">nicht immer deutlich</hi> vor, wir                   denken sogar oft u&#x0364;ber eine Sache fort, deren Benennung wir ganz verloren haben;                   allein dieses widerlegt die Nothwendigkeit einer symbolischen Erkenntniß gar                   nicht. Jm ersten Fall, wo sich oft Jdeen gegen Jdeen auf einmahl vertauschen, in                   einander auflo&#x0364;sen, und ohne daß wir den Grad ihrer <hi rendition="#b">Weile,</hi> die jede Vorstellung haben muß, fu&#x0364;hlen ko&#x0364;nnten, unbegreiflich geschwind mit                   einander abwechseln, stellt sich die menschliche Seele wu&#x0364;rklich <hi rendition="#b">jedes einzelne</hi> Wort nur in der <hi rendition="#b">mo&#x0364;glichst                      gro&#x0364;ßten</hi> Schnelligkeit vor; &#x2014; denn wir bemerken es den Augenblick, wenn                   uns in dem schnellen Fluge unserer Gedanken ein Wort <hi rendition="#b">fehlt,</hi> und es hat Redner gegeben, die durch den Verlust eines einzigen                   Wortes bei der schnellen Folge ihrer Gedanken so verwirrt wurden, daß sie den                   ganzen Faden nicht wiederfinden konnten.</p>
          <p>Jm zweiten Fall, wo die menschliche Seele u&#x0364;ber eine Sache fortdenkt, ohne ihre                   Benennung behalten zu haben, beha&#x0364;lt sie doch allemahl eine sehr lebhafte und                   gleichsam a&#x0364;ngstliche Erinnerung, daß es fu&#x0364;r jene Sache einen wu&#x0364;rklich symbolischen                   Ausdruck <hi rendition="#b">giebt;</hi> aber wie sehr geneigt sie sich fu&#x0364;hlt,                   diesen Ausdruck wieder zu erhaschen, wie sie sich bemu&#x0364;ht, auf seine Spur zu                   kommen, oft auf einmahl alle andere Gedanken abbricht und auf das verlorne Wort                   denkt, wird ein jeder aus eigener Erfahrung wissen. Verliert sie vollends mehrere                   Worte auf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0004] lungen freylich jenes symbolische Zeichen nicht immer deutlich vor, wir denken sogar oft uͤber eine Sache fort, deren Benennung wir ganz verloren haben; allein dieses widerlegt die Nothwendigkeit einer symbolischen Erkenntniß gar nicht. Jm ersten Fall, wo sich oft Jdeen gegen Jdeen auf einmahl vertauschen, in einander aufloͤsen, und ohne daß wir den Grad ihrer Weile, die jede Vorstellung haben muß, fuͤhlen koͤnnten, unbegreiflich geschwind mit einander abwechseln, stellt sich die menschliche Seele wuͤrklich jedes einzelne Wort nur in der moͤglichst groͤßten Schnelligkeit vor; — denn wir bemerken es den Augenblick, wenn uns in dem schnellen Fluge unserer Gedanken ein Wort fehlt, und es hat Redner gegeben, die durch den Verlust eines einzigen Wortes bei der schnellen Folge ihrer Gedanken so verwirrt wurden, daß sie den ganzen Faden nicht wiederfinden konnten. Jm zweiten Fall, wo die menschliche Seele uͤber eine Sache fortdenkt, ohne ihre Benennung behalten zu haben, behaͤlt sie doch allemahl eine sehr lebhafte und gleichsam aͤngstliche Erinnerung, daß es fuͤr jene Sache einen wuͤrklich symbolischen Ausdruck giebt; aber wie sehr geneigt sie sich fuͤhlt, diesen Ausdruck wieder zu erhaschen, wie sie sich bemuͤht, auf seine Spur zu kommen, oft auf einmahl alle andere Gedanken abbricht und auf das verlorne Wort denkt, wird ein jeder aus eigener Erfahrung wissen. Verliert sie vollends mehrere Worte auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/4
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/4>, abgerufen am 03.12.2024.