Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


weiter versichert seyn, als es uns die Erfahrung lehrt. (Locke setzt hier, wie in andern Stellen, offenbar als schon erwiesen voraus, daß eine jede Vorstellung ein würkliches Bewußtseyn in sich schließen müsse.) Denn sagen, das würkliche Denken sey Wesen der Seele, und lasse sich von derselben nicht trennen, ist so viel als etwas, darüber noch gefragt wird, für gewiß setzen, und es nicht beweisen, welches doch geschehen muß, wenn es nicht ein an sich sonnenklarer Satz ist. (Man setzt ja aber auch den Satz -- ich nehme den strengen Cartesianer aus -- nicht als ein Axiom voraus, daß das Wesen der Seele im Denken bestehe, sondern man leitet ihn aus Vernunftbegriffen über die Denkkraft des Geistes her, und nimmt an, daß eine Seele ein Nichts wird, sobald sie zu denken und zu empfinden aufhört.) Ob nun aber dieser Satz: die Seele denkt immer, ein an sich sonnenklarer Satz sey, dem jedermann Beifall giebt, sobald er ihn hört, darüber lasse ich alle Menschen in der ganzen Welt urtheilen. --Jch zweifle, ob ich die ganze vergangene Nacht mit Jdeen beschäftigt gewesen bin, oder nicht. Da hier die Frage von einer geschehenen Sache ist; so ist es so viel, als sie für gewiß setzen, wenn man als einen Beweis davon einen uns angenommenen noch streitigen Satz anführt. Auf solche Art kann jeder eine Sache beweisen. Jch darf nur voraussetzen, daß alle Uhren, so lange die Unruhe schlägt, denken; so habe ich es zur Gnüge erwiesen, und es


weiter versichert seyn, als es uns die Erfahrung lehrt. (Locke setzt hier, wie in andern Stellen, offenbar als schon erwiesen voraus, daß eine jede Vorstellung ein wuͤrkliches Bewußtseyn in sich schließen muͤsse.) Denn sagen, das wuͤrkliche Denken sey Wesen der Seele, und lasse sich von derselben nicht trennen, ist so viel als etwas, daruͤber noch gefragt wird, fuͤr gewiß setzen, und es nicht beweisen, welches doch geschehen muß, wenn es nicht ein an sich sonnenklarer Satz ist. (Man setzt ja aber auch den Satz — ich nehme den strengen Cartesianer aus — nicht als ein Axiom voraus, daß das Wesen der Seele im Denken bestehe, sondern man leitet ihn aus Vernunftbegriffen uͤber die Denkkraft des Geistes her, und nimmt an, daß eine Seele ein Nichts wird, sobald sie zu denken und zu empfinden aufhoͤrt.) Ob nun aber dieser Satz: die Seele denkt immer, ein an sich sonnenklarer Satz sey, dem jedermann Beifall giebt, sobald er ihn hoͤrt, daruͤber lasse ich alle Menschen in der ganzen Welt urtheilen. —Jch zweifle, ob ich die ganze vergangene Nacht mit Jdeen beschaͤftigt gewesen bin, oder nicht. Da hier die Frage von einer geschehenen Sache ist; so ist es so viel, als sie fuͤr gewiß setzen, wenn man als einen Beweis davon einen uns angenommenen noch streitigen Satz anfuͤhrt. Auf solche Art kann jeder eine Sache beweisen. Jch darf nur voraussetzen, daß alle Uhren, so lange die Unruhe schlaͤgt, denken; so habe ich es zur Gnuͤge erwiesen, und es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0069" n="69"/><lb/>
weiter versichert seyn,                   als es uns die Erfahrung lehrt. (Locke setzt hier, wie in andern Stellen, offenbar                   als schon <hi rendition="#b">erwiesen</hi> voraus, daß eine jede Vorstellung ein                   wu&#x0364;rkliches Bewußtseyn in sich schließen mu&#x0364;sse.) Denn sagen, das wu&#x0364;rkliche Denken                   sey Wesen der Seele, und lasse sich von derselben nicht trennen, ist so viel als                   etwas, daru&#x0364;ber noch gefragt wird, fu&#x0364;r gewiß setzen, und es nicht beweisen, welches                   doch geschehen muß, wenn es nicht ein an sich sonnenklarer Satz ist. (Man setzt ja                   aber auch den Satz &#x2014; ich nehme den strengen Cartesianer aus &#x2014; nicht als ein Axiom                   voraus, daß das Wesen der Seele im Denken bestehe, sondern man leitet ihn aus                   Vernunftbegriffen u&#x0364;ber die Denkkraft des Geistes her, und nimmt an, daß eine Seele                   ein Nichts wird, sobald sie zu denken und zu empfinden aufho&#x0364;rt.) Ob nun aber                   dieser Satz: die Seele denkt immer, ein an sich sonnenklarer Satz sey, dem                   jedermann Beifall giebt, sobald er ihn ho&#x0364;rt, daru&#x0364;ber lasse ich alle Menschen in                   der ganzen Welt urtheilen. &#x2014;Jch zweifle, ob ich die ganze vergangene Nacht mit                   Jdeen bescha&#x0364;ftigt gewesen bin, oder nicht. Da hier die Frage von einer geschehenen                   Sache ist; so ist es so viel, als sie fu&#x0364;r gewiß setzen, wenn man als einen Beweis                   davon einen uns angenommenen noch streitigen Satz anfu&#x0364;hrt. Auf solche Art kann                   jeder eine Sache beweisen. Jch darf nur voraussetzen, daß alle Uhren, so lange die                   Unruhe schla&#x0364;gt, denken; so habe ich es zur Gnu&#x0364;ge erwiesen, und es<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0069] weiter versichert seyn, als es uns die Erfahrung lehrt. (Locke setzt hier, wie in andern Stellen, offenbar als schon erwiesen voraus, daß eine jede Vorstellung ein wuͤrkliches Bewußtseyn in sich schließen muͤsse.) Denn sagen, das wuͤrkliche Denken sey Wesen der Seele, und lasse sich von derselben nicht trennen, ist so viel als etwas, daruͤber noch gefragt wird, fuͤr gewiß setzen, und es nicht beweisen, welches doch geschehen muß, wenn es nicht ein an sich sonnenklarer Satz ist. (Man setzt ja aber auch den Satz — ich nehme den strengen Cartesianer aus — nicht als ein Axiom voraus, daß das Wesen der Seele im Denken bestehe, sondern man leitet ihn aus Vernunftbegriffen uͤber die Denkkraft des Geistes her, und nimmt an, daß eine Seele ein Nichts wird, sobald sie zu denken und zu empfinden aufhoͤrt.) Ob nun aber dieser Satz: die Seele denkt immer, ein an sich sonnenklarer Satz sey, dem jedermann Beifall giebt, sobald er ihn hoͤrt, daruͤber lasse ich alle Menschen in der ganzen Welt urtheilen. —Jch zweifle, ob ich die ganze vergangene Nacht mit Jdeen beschaͤftigt gewesen bin, oder nicht. Da hier die Frage von einer geschehenen Sache ist; so ist es so viel, als sie fuͤr gewiß setzen, wenn man als einen Beweis davon einen uns angenommenen noch streitigen Satz anfuͤhrt. Auf solche Art kann jeder eine Sache beweisen. Jch darf nur voraussetzen, daß alle Uhren, so lange die Unruhe schlaͤgt, denken; so habe ich es zur Gnuͤge erwiesen, und es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/69
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/69>, abgerufen am 09.11.2024.