Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.Unstreitig ist es, daß die Sprache sehr viel, ja das meiste zur Begriffentwicklung -- zur Aufklärung und Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse beyträgt. Das anfangs lallende, dann sprechende Kind hört neue Worte, und in ihnen neue Begriffe; lernt täglich immer mehrere und neue Sachen kennen, lernt mit dem Fortgange der Sprachen kombiniren -- Aehnlichkeiten bemerken -- übertragen; es lernt weniger mechanisch denken, weniger einförmig urtheilen und handeln; es lernt Abwechslungen des Geschlechts -- der Art -- und des Jndividuellen; wird mit mehrern theils ähnlichen, theils kontrastirenden Verhältnissen bekannter; geistische -- unsichtbare -- abstrakte Dinge kommen ihm nicht mehr so unbegreiflich und nonsensikalisch vor; die Zeichen der sichtbaren --körperlichen -- einzelnen Dinge führen leicht zu andern, die mit diesen was ähnliches, was gemein haben. Wunderbare -- ungewöhnliche Dinge frappiren es nicht mehr in dem entsetzenden Grade; bald kann es selbst deutlich -- endlich unvermerkt unterscheiden, was es hört, sieht und empfindet. Von ihrem weitern Gebrauch und Nutzen in der menschlichen Gesellschaft, wäre es überflüßig, was zu sagen. Sprache ist der Anfang zur Bildung des Menschen; ihr Fortgang, ihre Entwicklung ist Entwicklung des Herzens und des Verstandes, ist Entwicklung eigenen Kraftgefühls; eben so unentbehrlich und interessant schreitet sie mit dem Menschen durch alle Le- Unstreitig ist es, daß die Sprache sehr viel, ja das meiste zur Begriffentwicklung — zur Aufklaͤrung und Verbreitung gemeinnuͤtziger Kenntnisse beytraͤgt. Das anfangs lallende, dann sprechende Kind hoͤrt neue Worte, und in ihnen neue Begriffe; lernt taͤglich immer mehrere und neue Sachen kennen, lernt mit dem Fortgange der Sprachen kombiniren — Aehnlichkeiten bemerken — uͤbertragen; es lernt weniger mechanisch denken, weniger einfoͤrmig urtheilen und handeln; es lernt Abwechslungen des Geschlechts — der Art — und des Jndividuellen; wird mit mehrern theils aͤhnlichen, theils kontrastirenden Verhaͤltnissen bekannter; geistische — unsichtbare — abstrakte Dinge kommen ihm nicht mehr so unbegreiflich und nonsensikalisch vor; die Zeichen der sichtbaren —koͤrperlichen — einzelnen Dinge fuͤhren leicht zu andern, die mit diesen was aͤhnliches, was gemein haben. Wunderbare — ungewoͤhnliche Dinge frappiren es nicht mehr in dem entsetzenden Grade; bald kann es selbst deutlich — endlich unvermerkt unterscheiden, was es hoͤrt, sieht und empfindet. Von ihrem weitern Gebrauch und Nutzen in der menschlichen Gesellschaft, waͤre es uͤberfluͤßig, was zu sagen. Sprache ist der Anfang zur Bildung des Menschen; ihr Fortgang, ihre Entwicklung ist Entwicklung des Herzens und des Verstandes, ist Entwicklung eigenen Kraftgefuͤhls; eben so unentbehrlich und interessant schreitet sie mit dem Menschen durch alle Le- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0089" n="89"/><lb/> <p>Unstreitig ist es, daß die Sprache sehr viel, ja das meiste zur <hi rendition="#b">Begriffentwicklung</hi> — zur Aufklaͤrung und Verbreitung gemeinnuͤtziger Kenntnisse beytraͤgt. Das anfangs lallende, dann sprechende Kind hoͤrt neue Worte, und in ihnen neue Begriffe; lernt taͤglich immer mehrere und neue Sachen kennen, lernt mit dem Fortgange der Sprachen kombiniren — Aehnlichkeiten bemerken — uͤbertragen; es lernt weniger mechanisch denken, weniger einfoͤrmig urtheilen und handeln; es lernt Abwechslungen des Geschlechts — der Art — und des Jndividuellen; wird mit mehrern theils aͤhnlichen, theils kontrastirenden Verhaͤltnissen bekannter; geistische — unsichtbare — abstrakte Dinge kommen ihm nicht mehr so unbegreiflich und nonsensikalisch vor; die Zeichen der sichtbaren —koͤrperlichen — einzelnen Dinge fuͤhren leicht zu andern, die mit diesen was aͤhnliches, was gemein haben. Wunderbare — ungewoͤhnliche Dinge frappiren es nicht mehr in dem entsetzenden Grade; bald kann es selbst deutlich — endlich unvermerkt unterscheiden, was es hoͤrt, sieht und empfindet. Von ihrem weitern Gebrauch und Nutzen in der menschlichen Gesellschaft, waͤre es uͤberfluͤßig, was zu sagen. Sprache ist der Anfang zur Bildung des Menschen; ihr Fortgang, ihre Entwicklung ist <hi rendition="#b">Entwicklung</hi> des Herzens und des Verstandes, ist Entwicklung eigenen Kraftgefuͤhls; eben so unentbehrlich und interessant schreitet sie mit dem Menschen durch alle Le-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0089]
Unstreitig ist es, daß die Sprache sehr viel, ja das meiste zur Begriffentwicklung — zur Aufklaͤrung und Verbreitung gemeinnuͤtziger Kenntnisse beytraͤgt. Das anfangs lallende, dann sprechende Kind hoͤrt neue Worte, und in ihnen neue Begriffe; lernt taͤglich immer mehrere und neue Sachen kennen, lernt mit dem Fortgange der Sprachen kombiniren — Aehnlichkeiten bemerken — uͤbertragen; es lernt weniger mechanisch denken, weniger einfoͤrmig urtheilen und handeln; es lernt Abwechslungen des Geschlechts — der Art — und des Jndividuellen; wird mit mehrern theils aͤhnlichen, theils kontrastirenden Verhaͤltnissen bekannter; geistische — unsichtbare — abstrakte Dinge kommen ihm nicht mehr so unbegreiflich und nonsensikalisch vor; die Zeichen der sichtbaren —koͤrperlichen — einzelnen Dinge fuͤhren leicht zu andern, die mit diesen was aͤhnliches, was gemein haben. Wunderbare — ungewoͤhnliche Dinge frappiren es nicht mehr in dem entsetzenden Grade; bald kann es selbst deutlich — endlich unvermerkt unterscheiden, was es hoͤrt, sieht und empfindet. Von ihrem weitern Gebrauch und Nutzen in der menschlichen Gesellschaft, waͤre es uͤberfluͤßig, was zu sagen. Sprache ist der Anfang zur Bildung des Menschen; ihr Fortgang, ihre Entwicklung ist Entwicklung des Herzens und des Verstandes, ist Entwicklung eigenen Kraftgefuͤhls; eben so unentbehrlich und interessant schreitet sie mit dem Menschen durch alle Le-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/89 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/89>, abgerufen am 16.02.2025. |