Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
An vielen Oertern ist's auch gebräuchlich, daß, wenn das Kind aus der Kirche nach der Taufe heimgetragen wird, man es sogleich einige Minuten in den Brodschrank legt, damit es nicht näschig werden soll. Eine andere Albernheit dieser Art erfuhr ich noch kürzlich in einem Dorfe ohnweit Merseburg. Jch hatte einer Kindtaufe in der Dorfkirche mit beigewohnt, und ging mit dem Prediger nach Hause. Weit vor uns vorauf erblickte ich die Jungfer Gevatterinn, welche nach dortiger Sitte das Kind trug, und ungewöhnlich schnell damit lief. Dieser Umstand fiel mir auf, und ich fragte den Prediger um die Ursache des schnellen Laufens mit dem Kinde. "Es ist ein ziemlich ausgebreiteter Aberglaube, erwiederte er, daß das Kind nicht gut gehen lernt, wenn die Gevatterinn damit nicht schnell nach Hause eilt. Jch habe den Leuten oft den Ungrund ihres Aberglaubens gezeigt; aber es hält ausserordentlich schwer, dergleichen Volksmeinungen, die um so viel stärker würken, weil *) Beides leztere geschieht eigentlich deswegen, weil man glaubt, daß das erstere den Schlaf des Kindes befördere, das leztere ihm aber seine Ruhe nehme; daher auch jener andere Aberglaube, daß sich ein Fremder, der in eine Kinderstube kommt, durchaus niedersezen muß, weil er sonst dem Kinde den Schlaf mitnimmt.
An vielen Oertern ist's auch gebraͤuchlich, daß, wenn das Kind aus der Kirche nach der Taufe heimgetragen wird, man es sogleich einige Minuten in den Brodschrank legt, damit es nicht naͤschig werden soll. Eine andere Albernheit dieser Art erfuhr ich noch kuͤrzlich in einem Dorfe ohnweit Merseburg. Jch hatte einer Kindtaufe in der Dorfkirche mit beigewohnt, und ging mit dem Prediger nach Hause. Weit vor uns vorauf erblickte ich die Jungfer Gevatterinn, welche nach dortiger Sitte das Kind trug, und ungewoͤhnlich schnell damit lief. Dieser Umstand fiel mir auf, und ich fragte den Prediger um die Ursache des schnellen Laufens mit dem Kinde. »Es ist ein ziemlich ausgebreiteter Aberglaube, erwiederte er, daß das Kind nicht gut gehen lernt, wenn die Gevatterinn damit nicht schnell nach Hause eilt. Jch habe den Leuten oft den Ungrund ihres Aberglaubens gezeigt; aber es haͤlt ausserordentlich schwer, dergleichen Volksmeinungen, die um so viel staͤrker wuͤrken, weil *) Beides leztere geschieht eigentlich deswegen, weil man glaubt, daß das erstere den Schlaf des Kindes befoͤrdere, das leztere ihm aber seine Ruhe nehme; daher auch jener andere Aberglaube, daß sich ein Fremder, der in eine Kinderstube kommt, durchaus niedersezen muß, weil er sonst dem Kinde den Schlaf mitnimmt.
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die Wiege nicht bewegen darf, wenn sich das Kind nicht darin befindet.*)
An vielen Oertern ist's auch gebraͤuchlich, daß, wenn das Kind aus der Kirche nach der Taufe heimgetragen wird, man es sogleich einige Minuten in den Brodschrank legt, damit es nicht naͤschig werden soll. Eine andere Albernheit dieser Art erfuhr ich noch kuͤrzlich in einem Dorfe ohnweit Merseburg. Jch hatte einer Kindtaufe in der Dorfkirche mit beigewohnt, und ging mit dem Prediger nach Hause. Weit vor uns vorauf erblickte ich die Jungfer Gevatterinn, welche nach dortiger Sitte das Kind trug, und ungewoͤhnlich schnell damit lief. Dieser Umstand fiel mir auf, und ich fragte den Prediger um die Ursache des schnellen Laufens mit dem Kinde. »Es ist ein ziemlich ausgebreiteter Aberglaube, erwiederte er, daß das Kind nicht gut gehen lernt, wenn die Gevatterinn damit nicht schnell nach Hause eilt. Jch habe den Leuten oft den Ungrund ihres Aberglaubens gezeigt; aber es haͤlt ausserordentlich schwer, dergleichen Volksmeinungen, die um so viel staͤrker wuͤrken, weil
*) Beides leztere geschieht eigentlich deswegen, weil man glaubt, daß das erstere den Schlaf des Kindes befoͤrdere, das leztere ihm aber seine Ruhe nehme; daher auch jener andere Aberglaube, daß sich ein Fremder, der in eine Kinderstube kommt, durchaus niedersezen muß, weil er sonst dem Kinde den Schlaf mitnimmt.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/23>, abgerufen am 16.07.2024. |