Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.auch keins zur Erwartung des prophetischen Geistes. Die Propheten waren nur in den ersten Gemeinden, seit der Zeit nicht mehr; eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit ist also auch für diese Offenbarung da. Nach Erwägung aller dieser Punkte kann man kühn sagen, die erzählten Gesichte sind keine göttliche Offenbarungen. Und was sonst? Die Fr. B. hat doch wirklich gesehen und gehört. Nun ja, ponamus hoc: so war alles ein Product der gereizten und gewöhnten Einbildungskraft. Die gute Fr. hat von Jugend auf, wie z.E. in der Kindheit vom Christkindlein gehört, und daß man da Licht und Helle sieht. Sie muß zu einer Familie gehören, die an solche Dinge glaubt, hat etwa dergleichen Geschichten erzählen hören (it. das Schreiben ihres Schwagers); muß Gemälde und Kupferstiche von solcher Art gesehen, und Bücher gebraucht haben, in denen nach älterer Art mehrere Wahrheiten des Evangelii durch Gedenksprüche vorgetragen werden. Sie hat vielleicht auch Scrivers Seelenschatz gelesen, und viele Gespräche der Seele mit Jesu, die man im vergangenen Jahrhundert und den erstern decenniis des jetzigen vorzüglich liebte. Daher ihre Gesichte, daher ihre Stimmen, quoad materiam. Nun kommt ihre persönliche Beschaffenheit, ihr Kummer, ihre schlimme Ehe hinzu. Erst mit der Theurung 1770 fängt die Geschichte ihrer Offenbarungen an, und nach auch keins zur Erwartung des prophetischen Geistes. Die Propheten waren nur in den ersten Gemeinden, seit der Zeit nicht mehr; eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit ist also auch fuͤr diese Offenbarung da. Nach Erwaͤgung aller dieser Punkte kann man kuͤhn sagen, die erzaͤhlten Gesichte sind keine goͤttliche Offenbarungen. Und was sonst? Die Fr. B. hat doch wirklich gesehen und gehoͤrt. Nun ja, ponamus hoc: so war alles ein Product der gereizten und gewoͤhnten Einbildungskraft. Die gute Fr. hat von Jugend auf, wie z.E. in der Kindheit vom Christkindlein gehoͤrt, und daß man da Licht und Helle sieht. Sie muß zu einer Familie gehoͤren, die an solche Dinge glaubt, hat etwa dergleichen Geschichten erzaͤhlen hoͤren (it. das Schreiben ihres Schwagers); muß Gemaͤlde und Kupferstiche von solcher Art gesehen, und Buͤcher gebraucht haben, in denen nach aͤlterer Art mehrere Wahrheiten des Evangelii durch Gedenkspruͤche vorgetragen werden. Sie hat vielleicht auch Scrivers Seelenschatz gelesen, und viele Gespraͤche der Seele mit Jesu, die man im vergangenen Jahrhundert und den erstern decenniis des jetzigen vorzuͤglich liebte. Daher ihre Gesichte, daher ihre Stimmen, quoad materiam. Nun kommt ihre persoͤnliche Beschaffenheit, ihr Kummer, ihre schlimme Ehe hinzu. Erst mit der Theurung 1770 faͤngt die Geschichte ihrer Offenbarungen an, und nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0054" n="52"/><lb/> auch keins zur Erwartung des prophetischen Geistes. Die Propheten waren nur in den ersten Gemeinden, seit der Zeit nicht mehr; eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit ist also auch fuͤr diese Offenbarung da.</item> </list> <p>Nach Erwaͤgung aller dieser Punkte kann man kuͤhn sagen, die erzaͤhlten Gesichte sind keine goͤttliche Offenbarungen. Und was sonst? Die Fr. B. hat doch wirklich gesehen und gehoͤrt. Nun ja, <hi rendition="#aq">ponamus hoc:</hi> so war alles ein Product der gereizten und gewoͤhnten Einbildungskraft. Die gute Fr. hat von Jugend auf, wie z.E. in der Kindheit vom Christkindlein gehoͤrt, und daß man da Licht und Helle sieht. Sie muß zu einer Familie gehoͤren, die an solche Dinge glaubt, hat etwa dergleichen Geschichten erzaͤhlen hoͤren (<hi rendition="#aq">it.</hi> das Schreiben ihres Schwagers); muß Gemaͤlde und Kupferstiche von solcher Art gesehen, und Buͤcher gebraucht haben, in denen nach aͤlterer Art mehrere Wahrheiten des Evangelii durch Gedenkspruͤche vorgetragen werden. Sie hat vielleicht auch Scrivers Seelenschatz gelesen, und viele Gespraͤche der Seele mit Jesu, die man im vergangenen Jahrhundert und den erstern <hi rendition="#aq">decenniis</hi> des jetzigen vorzuͤglich liebte. Daher ihre Gesichte, daher ihre Stimmen, <hi rendition="#aq">quoad materiam.</hi> Nun kommt ihre persoͤnliche Beschaffenheit, ihr Kummer, ihre schlimme Ehe hinzu. Erst mit der Theurung 1770 faͤngt die Geschichte ihrer Offenbarungen an, und nach<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0054]
auch keins zur Erwartung des prophetischen Geistes. Die Propheten waren nur in den ersten Gemeinden, seit der Zeit nicht mehr; eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit ist also auch fuͤr diese Offenbarung da.
Nach Erwaͤgung aller dieser Punkte kann man kuͤhn sagen, die erzaͤhlten Gesichte sind keine goͤttliche Offenbarungen. Und was sonst? Die Fr. B. hat doch wirklich gesehen und gehoͤrt. Nun ja, ponamus hoc: so war alles ein Product der gereizten und gewoͤhnten Einbildungskraft. Die gute Fr. hat von Jugend auf, wie z.E. in der Kindheit vom Christkindlein gehoͤrt, und daß man da Licht und Helle sieht. Sie muß zu einer Familie gehoͤren, die an solche Dinge glaubt, hat etwa dergleichen Geschichten erzaͤhlen hoͤren (it. das Schreiben ihres Schwagers); muß Gemaͤlde und Kupferstiche von solcher Art gesehen, und Buͤcher gebraucht haben, in denen nach aͤlterer Art mehrere Wahrheiten des Evangelii durch Gedenkspruͤche vorgetragen werden. Sie hat vielleicht auch Scrivers Seelenschatz gelesen, und viele Gespraͤche der Seele mit Jesu, die man im vergangenen Jahrhundert und den erstern decenniis des jetzigen vorzuͤglich liebte. Daher ihre Gesichte, daher ihre Stimmen, quoad materiam. Nun kommt ihre persoͤnliche Beschaffenheit, ihr Kummer, ihre schlimme Ehe hinzu. Erst mit der Theurung 1770 faͤngt die Geschichte ihrer Offenbarungen an, und nach
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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