Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu machen. - Die flüchtigen Regungen, welche sonst zuweilen durch die Seele fliegen, und ehe sie wahrgenommen werden, verschwinden, verwandelten sich bei mir in bleibende, ausgemachte Bilder; die unbemerkte, gefällige und mißfällige Empfindung an etwas hielt nun an, und schien die Stelle eines festen Begehrens und Verabscheuens einnehmen zu wollen; denn alles, was gereizt ward, war in der gleichgültigen Lage der Seele Herr.

Dies gab zum Theil schreckliche Phänomene. Der Gedanke, den ich verfluchte, ward Bild, annehmliches Bild. Das heftige Mißfallen an diesem entdeckten bösen Zuge, und oft gar die Unfähigkeit, ihn nur so weit zu dämpfen, daß er nicht wirklicher Wunsch ward, und bei allem diesen, Kraftlosigkeit sich zu ermannen, die Zügel der Einbildungskraft zu ergreifen, - das alles versezte die Seele in - nicht Traurigkeit, - sondern Unmuth und Verdrießlichkeit. - Jch würde mich unendlich schämen, wenn zu solcher Zeit ein Mensch meine Seele hätte sehen können."

Offenbar lag der Grund dieser ganzen Empfindlichkeit in den geschwächten, oder auch zu sehr gespannten Nerven des Kranken, welche bei einem Schwindsüchtigen bis zu einem erstaunlichen Grade


Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu machen. – Die fluͤchtigen Regungen, welche sonst zuweilen durch die Seele fliegen, und ehe sie wahrgenommen werden, verschwinden, verwandelten sich bei mir in bleibende, ausgemachte Bilder; die unbemerkte, gefaͤllige und mißfaͤllige Empfindung an etwas hielt nun an, und schien die Stelle eines festen Begehrens und Verabscheuens einnehmen zu wollen; denn alles, was gereizt ward, war in der gleichguͤltigen Lage der Seele Herr.

Dies gab zum Theil schreckliche Phaͤnomene. Der Gedanke, den ich verfluchte, ward Bild, annehmliches Bild. Das heftige Mißfallen an diesem entdeckten boͤsen Zuge, und oft gar die Unfaͤhigkeit, ihn nur so weit zu daͤmpfen, daß er nicht wirklicher Wunsch ward, und bei allem diesen, Kraftlosigkeit sich zu ermannen, die Zuͤgel der Einbildungskraft zu ergreifen, – das alles versezte die Seele in – nicht Traurigkeit, – sondern Unmuth und Verdrießlichkeit. – Jch wuͤrde mich unendlich schaͤmen, wenn zu solcher Zeit ein Mensch meine Seele haͤtte sehen koͤnnen.«

Offenbar lag der Grund dieser ganzen Empfindlichkeit in den geschwaͤchten, oder auch zu sehr gespannten Nerven des Kranken, welche bei einem Schwindsuͤchtigen bis zu einem erstaunlichen Grade

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0007" n="5"/><lb/>
Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten                   bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu                   machen. &#x2013; Die flu&#x0364;chtigen Regungen, welche sonst zuweilen durch die Seele fliegen,                   und ehe sie wahrgenommen werden, verschwinden, verwandelten sich bei mir in                   bleibende, ausgemachte Bilder; die unbemerkte, gefa&#x0364;llige und mißfa&#x0364;llige Empfindung                   an etwas hielt nun an, und schien die Stelle eines festen Begehrens und                   Verabscheuens einnehmen zu wollen; denn alles, was gereizt ward, war in der                   gleichgu&#x0364;ltigen Lage der Seele Herr<choice><corr>.</corr><sic></sic></choice></p>
          <p><choice><corr>Dies</corr><sic>»Dies</sic></choice> gab zum Theil                   schreckliche Pha&#x0364;nomene. Der Gedanke, den ich verfluchte, ward Bild, annehmliches                   Bild. Das heftige Mißfallen an diesem entdeckten bo&#x0364;sen Zuge, und oft gar die                   Unfa&#x0364;higkeit, ihn nur so weit zu da&#x0364;mpfen, daß er nicht wirklicher Wunsch ward, und                   bei allem diesen, Kraftlosigkeit sich zu ermannen, die Zu&#x0364;gel der Einbildungskraft                   zu ergreifen, &#x2013; das alles versezte die Seele in &#x2013; nicht Traurigkeit, &#x2013; sondern                   Unmuth und Verdrießlichkeit. &#x2013; <hi rendition="#b">Jch wu&#x0364;rde mich unendlich scha&#x0364;men,                      wenn zu solcher Zeit ein Mensch meine Seele ha&#x0364;tte sehen ko&#x0364;nnen.«</hi></p>
          <p>Offenbar lag der Grund dieser ganzen Empfindlichkeit in den <hi rendition="#b">geschwa&#x0364;chten,</hi> oder auch zu sehr <hi rendition="#b">gespannten</hi> Nerven des Kranken, welche bei einem Schwindsu&#x0364;chtigen bis zu einem erstaunlichen                   Grade<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0007] Folge. Jeder Keim von Trieb, jeder Ueberrest eines alten bedurfte nur die geringste Veranlassung, um die ganze Seele zu seinem Eigenthum zu machen. – Die fluͤchtigen Regungen, welche sonst zuweilen durch die Seele fliegen, und ehe sie wahrgenommen werden, verschwinden, verwandelten sich bei mir in bleibende, ausgemachte Bilder; die unbemerkte, gefaͤllige und mißfaͤllige Empfindung an etwas hielt nun an, und schien die Stelle eines festen Begehrens und Verabscheuens einnehmen zu wollen; denn alles, was gereizt ward, war in der gleichguͤltigen Lage der Seele Herr. Dies gab zum Theil schreckliche Phaͤnomene. Der Gedanke, den ich verfluchte, ward Bild, annehmliches Bild. Das heftige Mißfallen an diesem entdeckten boͤsen Zuge, und oft gar die Unfaͤhigkeit, ihn nur so weit zu daͤmpfen, daß er nicht wirklicher Wunsch ward, und bei allem diesen, Kraftlosigkeit sich zu ermannen, die Zuͤgel der Einbildungskraft zu ergreifen, – das alles versezte die Seele in – nicht Traurigkeit, – sondern Unmuth und Verdrießlichkeit. – Jch wuͤrde mich unendlich schaͤmen, wenn zu solcher Zeit ein Mensch meine Seele haͤtte sehen koͤnnen.« Offenbar lag der Grund dieser ganzen Empfindlichkeit in den geschwaͤchten, oder auch zu sehr gespannten Nerven des Kranken, welche bei einem Schwindsuͤchtigen bis zu einem erstaunlichen Grade

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/7
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/7>, abgerufen am 21.11.2024.