Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0022" n="22"/><lb/> schwach zum Denken, sondern sehr heiter und aufgelegt, wissenschaftliche Untersuchungen anzufangen, auch bemerke ich dann einen heftigern als gewoͤhnlichen Kitzel zu launigen und witzigen Einfaͤllen in mir; — aber der Zustand dauert nicht lange. Jch muß hinterher jeden Augenblick einer genossenen ehlichen Zaͤrtlichkeit mit tagelangen Beaͤngstigungen meiner Seele buͤßen. Jn diesem Zustande bin ich schrecklich muͤrrisch, glaube, die Menschen wollen mich ermorden, fuͤrchte, bei allem guten Gewissen, das ich habe, von meinem Amte abgesetzt zu werden, und Hungers zu sterben, und fuͤrchterliche Zweifel uͤber die Zukunft und deren Ungewißheit verfolgen mich gleich Furien. Die Menschen, die ich sonst so sehr liebe, deren Umgang eines meiner ersten Beduͤrfnisse ist, werden mir unausstehlich, oft meinen herzlichsten Freunden geh ich aus dem Wege, und mein liebes Weib erscheint mir viel schlimmer, als es in der That ist. Was mir das fuͤr Muͤhe kostet, in Gesellschaften meinen Menschenabscheu zu verbergen, und meine uͤble Laune nicht in Grobheiten, oft gegen den Unschuldigsten, ausarten zu lassen, kann ich keinem beschreiben. Bricht sie wirklich aus: so schone ich keines Menschen, ich bereue es hinterher; aber ich bin viel zu stolz, als meine Fehler den Beleidigten abzubitten. Auch sehr scharf und fein ist in jenem Zustande nach einer ehlichen Umarmung mein <hi rendition="#b">physiognomisches</hi> Gefuͤhl. Jch entdecke im Gesicht andrer, Zuͤge des Herzens, die mir sonst<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0022]
schwach zum Denken, sondern sehr heiter und aufgelegt, wissenschaftliche Untersuchungen anzufangen, auch bemerke ich dann einen heftigern als gewoͤhnlichen Kitzel zu launigen und witzigen Einfaͤllen in mir; — aber der Zustand dauert nicht lange. Jch muß hinterher jeden Augenblick einer genossenen ehlichen Zaͤrtlichkeit mit tagelangen Beaͤngstigungen meiner Seele buͤßen. Jn diesem Zustande bin ich schrecklich muͤrrisch, glaube, die Menschen wollen mich ermorden, fuͤrchte, bei allem guten Gewissen, das ich habe, von meinem Amte abgesetzt zu werden, und Hungers zu sterben, und fuͤrchterliche Zweifel uͤber die Zukunft und deren Ungewißheit verfolgen mich gleich Furien. Die Menschen, die ich sonst so sehr liebe, deren Umgang eines meiner ersten Beduͤrfnisse ist, werden mir unausstehlich, oft meinen herzlichsten Freunden geh ich aus dem Wege, und mein liebes Weib erscheint mir viel schlimmer, als es in der That ist. Was mir das fuͤr Muͤhe kostet, in Gesellschaften meinen Menschenabscheu zu verbergen, und meine uͤble Laune nicht in Grobheiten, oft gegen den Unschuldigsten, ausarten zu lassen, kann ich keinem beschreiben. Bricht sie wirklich aus: so schone ich keines Menschen, ich bereue es hinterher; aber ich bin viel zu stolz, als meine Fehler den Beleidigten abzubitten. Auch sehr scharf und fein ist in jenem Zustande nach einer ehlichen Umarmung mein physiognomisches Gefuͤhl. Jch entdecke im Gesicht andrer, Zuͤge des Herzens, die mir sonst
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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