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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.

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Träumen! Ein jeder idealisirt sich jenseit des Grabes die gute Seite seines gegenwärtigen Verhältnisses, und den gewöhnlichen Menschen mag das vergnügen, auch wohl beruhigen; aber der aufgeklärte Mann lächelt über die Seifenblase, die das Kind bewundert, weil es sie für etwas mehr als Seifenblase hält. Für ihn hat die Beschaffenheit seines gegenwärtigen Daseyns um soviel größern Werth, da er die Unsicherheit der Bürgschaft einsieht, welche die Vernunft ihm für die Fortdauer desselben, auch nur so, wie es hier ist, zu leisten vermag.

Theokles.

Darin haben Sie Recht, mein lieber Freund: jeder denkt sich die Zukunft jenseit des Grabes auf seine Weise. Die Volksvorstellungen davon richten sich immer nach dem Grade der Cultur, auf dem das Volk steht, und sind dem gemäß gröber oder feiner. Auch die Jdeen, welche einzelne Menschen unter gebildeten Nationen darüber haben, verändern und modificiren sich gar sehr nach dem Charakter und der individuellen Lage derselben. Allein demungeachtet sollt ich glauben, daß nicht alle Jdeen, welche wir uns von dem Zustande nach dem Tode machen können, bloße Träume wären; wenigstens eine Jdee, die hohe Wahrscheinlichkeit hat, ist für mich kein Traum der Phantasie mehr.



Traͤumen! Ein jeder idealisirt sich jenseit des Grabes die gute Seite seines gegenwaͤrtigen Verhaͤltnisses, und den gewoͤhnlichen Menschen mag das vergnuͤgen, auch wohl beruhigen; aber der aufgeklaͤrte Mann laͤchelt uͤber die Seifenblase, die das Kind bewundert, weil es sie fuͤr etwas mehr als Seifenblase haͤlt. Fuͤr ihn hat die Beschaffenheit seines gegenwaͤrtigen Daseyns um soviel groͤßern Werth, da er die Unsicherheit der Buͤrgschaft einsieht, welche die Vernunft ihm fuͤr die Fortdauer desselben, auch nur so, wie es hier ist, zu leisten vermag.

Theokles.

Darin haben Sie Recht, mein lieber Freund: jeder denkt sich die Zukunft jenseit des Grabes auf seine Weise. Die Volksvorstellungen davon richten sich immer nach dem Grade der Cultur, auf dem das Volk steht, und sind dem gemaͤß groͤber oder feiner. Auch die Jdeen, welche einzelne Menschen unter gebildeten Nationen daruͤber haben, veraͤndern und modificiren sich gar sehr nach dem Charakter und der individuellen Lage derselben. Allein demungeachtet sollt ich glauben, daß nicht alle Jdeen, welche wir uns von dem Zustande nach dem Tode machen koͤnnen, bloße Traͤume waͤren; wenigstens eine Jdee, die hohe Wahrscheinlichkeit hat, ist fuͤr mich kein Traum der Phantasie mehr.


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[28/0028] Traͤumen! Ein jeder idealisirt sich jenseit des Grabes die gute Seite seines gegenwaͤrtigen Verhaͤltnisses, und den gewoͤhnlichen Menschen mag das vergnuͤgen, auch wohl beruhigen; aber der aufgeklaͤrte Mann laͤchelt uͤber die Seifenblase, die das Kind bewundert, weil es sie fuͤr etwas mehr als Seifenblase haͤlt. Fuͤr ihn hat die Beschaffenheit seines gegenwaͤrtigen Daseyns um soviel groͤßern Werth, da er die Unsicherheit der Buͤrgschaft einsieht, welche die Vernunft ihm fuͤr die Fortdauer desselben, auch nur so, wie es hier ist, zu leisten vermag. Theokles. Darin haben Sie Recht, mein lieber Freund: jeder denkt sich die Zukunft jenseit des Grabes auf seine Weise. Die Volksvorstellungen davon richten sich immer nach dem Grade der Cultur, auf dem das Volk steht, und sind dem gemaͤß groͤber oder feiner. Auch die Jdeen, welche einzelne Menschen unter gebildeten Nationen daruͤber haben, veraͤndern und modificiren sich gar sehr nach dem Charakter und der individuellen Lage derselben. Allein demungeachtet sollt ich glauben, daß nicht alle Jdeen, welche wir uns von dem Zustande nach dem Tode machen koͤnnen, bloße Traͤume waͤren; wenigstens eine Jdee, die hohe Wahrscheinlichkeit hat, ist fuͤr mich kein Traum der Phantasie mehr.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/28>, abgerufen am 21.11.2024.