Weinreben leicht hinaufzusteigen. Jch kam auf den Gipfel und erblickte, indem ich begierig war, über denselben fortzuschreiten, eine Menge nackter und steiler Steinklumpen, und es fehlte nicht viel, daß ich mich nicht in die tiefe Erde warf, und in den finstern Abgrund hinabstürzte; so daß mich dieser Traum, obgleich schon funfzig Jahre verflossen sind, wenn ich daran denke, noch erschreckt und traurig macht. Jch wand mich daher zur Rechten, ging weiter, ohne daß ich vor Furcht wußte, wohin, und erblickte mich endlich im Vorhofe eines Bauerhauses, welches mit Spreu, Binsen und Schilf bedeckt war, und führte einen Knaben von ungefähr zwölf Jahren in einem aschfarbigen Kleide an meiner rechten Hand, -- wo ich dann erwachte."
Nun höre man, wie Cardano, GirolamoCardan sich selbst diesen Traum, der ein ganz gewöhnlicher Traum war -- erklärt und auslegt. "Dieser Traum deutete offenbar die Unsterblichkeit meines Namens, meine beständigen und ungeheuren Arbeiten und Mühseligkeiten, mein Gefängniß, meine große Furcht und Traurigkeit, meine harte Lage wegen der Steine, meinen fruchtlosen Zustand wegen des Mangels an Bäumen und nützlichen Kräutern, aber doch auch meiner einstweilen angenehmen, einförmigen und bessern Schicksale an. Mein Traum hat mich belehrt, daß ich einen beständigen Ruhm haben würde; denn die Weinreben bringen eine jährliche Ernd-
Weinreben leicht hinaufzusteigen. Jch kam auf den Gipfel und erblickte, indem ich begierig war, uͤber denselben fortzuschreiten, eine Menge nackter und steiler Steinklumpen, und es fehlte nicht viel, daß ich mich nicht in die tiefe Erde warf, und in den finstern Abgrund hinabstuͤrzte; so daß mich dieser Traum, obgleich schon funfzig Jahre verflossen sind, wenn ich daran denke, noch erschreckt und traurig macht. Jch wand mich daher zur Rechten, ging weiter, ohne daß ich vor Furcht wußte, wohin, und erblickte mich endlich im Vorhofe eines Bauerhauses, welches mit Spreu, Binsen und Schilf bedeckt war, und fuͤhrte einen Knaben von ungefaͤhr zwoͤlf Jahren in einem aschfarbigen Kleide an meiner rechten Hand, — wo ich dann erwachte.«
Nun hoͤre man, wie Cardano, GirolamoCardan sich selbst diesen Traum, der ein ganz gewoͤhnlicher Traum war — erklaͤrt und auslegt. »Dieser Traum deutete offenbar die Unsterblichkeit meines Namens, meine bestaͤndigen und ungeheuren Arbeiten und Muͤhseligkeiten, mein Gefaͤngniß, meine große Furcht und Traurigkeit, meine harte Lage wegen der Steine, meinen fruchtlosen Zustand wegen des Mangels an Baͤumen und nuͤtzlichen Kraͤutern, aber doch auch meiner einstweilen angenehmen, einfoͤrmigen und bessern Schicksale an. Mein Traum hat mich belehrt, daß ich einen bestaͤndigen Ruhm haben wuͤrde; denn die Weinreben bringen eine jaͤhrliche Ernd-
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Weinreben leicht hinaufzusteigen. Jch kam auf den Gipfel und erblickte, indem ich begierig war, uͤber denselben fortzuschreiten, eine Menge nackter und steiler Steinklumpen, und es fehlte nicht viel, daß ich mich nicht in die tiefe Erde warf, und in den finstern Abgrund hinabstuͤrzte; so daß mich dieser Traum, obgleich schon funfzig Jahre verflossen sind, wenn ich daran denke, noch erschreckt und traurig macht. Jch wand mich daher zur Rechten, ging weiter, ohne daß ich vor Furcht wußte, wohin, und erblickte mich endlich im Vorhofe eines Bauerhauses, welches mit Spreu, Binsen und Schilf bedeckt war, und fuͤhrte einen Knaben von ungefaͤhr zwoͤlf Jahren in einem aschfarbigen Kleide an meiner rechten Hand, — wo ich dann erwachte.«</p><p>Nun hoͤre man, wie <persNameref="#ref0040"><notetype="editorial">Cardano, Girolamo</note>Cardan</persName> sich selbst diesen Traum, der ein ganz gewoͤhnlicher Traum war — erklaͤrt und auslegt. <choice><corr>»Dieser</corr><sic>Dieser</sic></choice> Traum deutete offenbar die Unsterblichkeit meines Namens, meine bestaͤndigen und ungeheuren Arbeiten und Muͤhseligkeiten, mein Gefaͤngniß, meine große Furcht und Traurigkeit, meine harte Lage wegen der Steine, meinen fruchtlosen Zustand wegen des Mangels an Baͤumen und nuͤtzlichen Kraͤutern, aber doch auch meiner einstweilen angenehmen, einfoͤrmigen und bessern Schicksale an. Mein Traum hat mich belehrt, daß ich einen bestaͤndigen Ruhm haben wuͤrde; denn die Weinreben bringen eine jaͤhrliche Ernd-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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Weinreben leicht hinaufzusteigen. Jch kam auf den Gipfel und erblickte, indem ich begierig war, uͤber denselben fortzuschreiten, eine Menge nackter und steiler Steinklumpen, und es fehlte nicht viel, daß ich mich nicht in die tiefe Erde warf, und in den finstern Abgrund hinabstuͤrzte; so daß mich dieser Traum, obgleich schon funfzig Jahre verflossen sind, wenn ich daran denke, noch erschreckt und traurig macht. Jch wand mich daher zur Rechten, ging weiter, ohne daß ich vor Furcht wußte, wohin, und erblickte mich endlich im Vorhofe eines Bauerhauses, welches mit Spreu, Binsen und Schilf bedeckt war, und fuͤhrte einen Knaben von ungefaͤhr zwoͤlf Jahren in einem aschfarbigen Kleide an meiner rechten Hand, — wo ich dann erwachte.«
Nun hoͤre man, wie Cardan sich selbst diesen Traum, der ein ganz gewoͤhnlicher Traum war — erklaͤrt und auslegt. »Dieser Traum deutete offenbar die Unsterblichkeit meines Namens, meine bestaͤndigen und ungeheuren Arbeiten und Muͤhseligkeiten, mein Gefaͤngniß, meine große Furcht und Traurigkeit, meine harte Lage wegen der Steine, meinen fruchtlosen Zustand wegen des Mangels an Baͤumen und nuͤtzlichen Kraͤutern, aber doch auch meiner einstweilen angenehmen, einfoͤrmigen und bessern Schicksale an. Mein Traum hat mich belehrt, daß ich einen bestaͤndigen Ruhm haben wuͤrde; denn die Weinreben bringen eine jaͤhrliche Ernd-
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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/83>, abgerufen am 19.02.2025.
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