Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


haben mir heute Trähnen entlokt, die mehr werth sind, als ein ganzer Jahrgang gedrukter Morgen- und Abendseegen. Gott lohns Jhnen, und tröste Sie im Ungemach des Lebens!"

Nun sezten wir uns zu Tische. So rührend anfangs das Gespräch war, so lenkte sichs doch bald zum Scherz, und zur geselligen Freude. Franz nahm den lebhaftesten Antheil an unsrer Unterhaltung. Man sprach über Litteratur, über Kunst, über neue Aufsehenerregende Schriften; -- Franz tummelte sich mit dem Herrn Pfarrer und mir so wacker in dieser Materie herum, daß sich der Alte nicht satt sehen, und hören konnte. Die Sprache kam auf politische Neuigkeiten, wo sich der brave Pächter mit unter die Streiter mischte. Franz wußte von allem, urtheilte überall mit bewunderungswürdiger Feinheit. "Auch hier ist mir der Blizbube über'n Kopf gewachsen! -- Der Doktor aller Doktoren soll leben!" -- rief der Vater, und alle Gläser klangen zusammen. "Mit Wasser willt du deines Doktors Gesundheit trinken? fuhr er zu Franz fort. Eingeschenkt auf mein Wort! Warst ja sonst kein Kostverächter, und das Bissel wird dich nicht beissen." -- Franz trank hier nach mehr als einen Vierteljahr das erste Glas Wein. Nun wurde das bodenlose Capitel der Anekdoten, und Schwänke vorgenommen. Der Pächter ließ eine Rakete nach der andern steigen, und lachte dann immer zuerst, daß die Tafel zitterte. Auch ich


haben mir heute Traͤhnen entlokt, die mehr werth sind, als ein ganzer Jahrgang gedrukter Morgen- und Abendseegen. Gott lohns Jhnen, und troͤste Sie im Ungemach des Lebens!«

Nun sezten wir uns zu Tische. So ruͤhrend anfangs das Gespraͤch war, so lenkte sichs doch bald zum Scherz, und zur geselligen Freude. Franz nahm den lebhaftesten Antheil an unsrer Unterhaltung. Man sprach uͤber Litteratur, uͤber Kunst, uͤber neue Aufsehenerregende Schriften; — Franz tummelte sich mit dem Herrn Pfarrer und mir so wacker in dieser Materie herum, daß sich der Alte nicht satt sehen, und hoͤren konnte. Die Sprache kam auf politische Neuigkeiten, wo sich der brave Paͤchter mit unter die Streiter mischte. Franz wußte von allem, urtheilte uͤberall mit bewunderungswuͤrdiger Feinheit. »Auch hier ist mir der Blizbube uͤber'n Kopf gewachsen! — Der Doktor aller Doktoren soll leben!« — rief der Vater, und alle Glaͤser klangen zusammen. »Mit Wasser willt du deines Doktors Gesundheit trinken? fuhr er zu Franz fort. Eingeschenkt auf mein Wort! Warst ja sonst kein Kostveraͤchter, und das Bissel wird dich nicht beissen.« — Franz trank hier nach mehr als einen Vierteljahr das erste Glas Wein. Nun wurde das bodenlose Capitel der Anekdoten, und Schwaͤnke vorgenommen. Der Paͤchter ließ eine Rakete nach der andern steigen, und lachte dann immer zuerst, daß die Tafel zitterte. Auch ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0113" n="113"/><lb/>
haben mir heute Tra&#x0364;hnen entlokt, die mehr                         werth sind, als ein ganzer Jahrgang gedrukter Morgen- und Abendseegen. Gott                         lohns Jhnen, und tro&#x0364;ste Sie im Ungemach des Lebens!«</p>
            <p>Nun sezten wir uns zu Tische. So ru&#x0364;hrend anfangs das Gespra&#x0364;ch war, so lenkte                         sichs doch bald zum Scherz, und zur geselligen Freude. Franz nahm den                         lebhaftesten Antheil an unsrer Unterhaltung. Man sprach u&#x0364;ber Litteratur,                         u&#x0364;ber Kunst, u&#x0364;ber neue Aufsehenerregende Schriften; &#x2014; Franz tummelte sich mit                         dem Herrn Pfarrer und mir so wacker in dieser Materie herum, daß sich der                         Alte nicht satt sehen, und ho&#x0364;ren konnte. Die Sprache kam auf politische                         Neuigkeiten, wo sich der brave Pa&#x0364;chter mit unter die Streiter mischte. Franz                         wußte von allem, urtheilte u&#x0364;berall mit <choice><corr>bewunderungswu&#x0364;rdiger</corr><sic>bewundernngswu&#x0364;rdiger</sic></choice> Feinheit. »Auch hier ist mir der                         Blizbube u&#x0364;ber'n Kopf gewachsen! &#x2014; Der Doktor aller Doktoren soll leben!« &#x2014;                         rief der Vater, und alle Gla&#x0364;ser klangen zusammen. »Mit Wasser willt du                         deines Doktors Gesundheit trinken? fuhr <choice><corr>er</corr><sic>Er</sic></choice> zu Franz fort. Eingeschenkt auf mein Wort!                         Warst ja sonst kein Kostvera&#x0364;chter, und das Bissel wird dich nicht beissen.«                         &#x2014; Franz trank hier nach mehr als einen Vierteljahr das erste Glas Wein. Nun                         wurde das bodenlose Capitel der Anekdoten, und Schwa&#x0364;nke vorgenommen. Der                         Pa&#x0364;chter ließ eine Rakete nach der andern steigen, und lachte dann immer                         zuerst, daß die Tafel zitterte. Auch ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0113] haben mir heute Traͤhnen entlokt, die mehr werth sind, als ein ganzer Jahrgang gedrukter Morgen- und Abendseegen. Gott lohns Jhnen, und troͤste Sie im Ungemach des Lebens!« Nun sezten wir uns zu Tische. So ruͤhrend anfangs das Gespraͤch war, so lenkte sichs doch bald zum Scherz, und zur geselligen Freude. Franz nahm den lebhaftesten Antheil an unsrer Unterhaltung. Man sprach uͤber Litteratur, uͤber Kunst, uͤber neue Aufsehenerregende Schriften; — Franz tummelte sich mit dem Herrn Pfarrer und mir so wacker in dieser Materie herum, daß sich der Alte nicht satt sehen, und hoͤren konnte. Die Sprache kam auf politische Neuigkeiten, wo sich der brave Paͤchter mit unter die Streiter mischte. Franz wußte von allem, urtheilte uͤberall mit bewunderungswuͤrdiger Feinheit. »Auch hier ist mir der Blizbube uͤber'n Kopf gewachsen! — Der Doktor aller Doktoren soll leben!« — rief der Vater, und alle Glaͤser klangen zusammen. »Mit Wasser willt du deines Doktors Gesundheit trinken? fuhr er zu Franz fort. Eingeschenkt auf mein Wort! Warst ja sonst kein Kostveraͤchter, und das Bissel wird dich nicht beissen.« — Franz trank hier nach mehr als einen Vierteljahr das erste Glas Wein. Nun wurde das bodenlose Capitel der Anekdoten, und Schwaͤnke vorgenommen. Der Paͤchter ließ eine Rakete nach der andern steigen, und lachte dann immer zuerst, daß die Tafel zitterte. Auch ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/113
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/113>, abgerufen am 21.11.2024.