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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

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sie das unterbrochene Gebet wo sie vorher geblieben, wie sie jeder Zeit gewohnt gewesen wieder fortgesezt. Sie hätte kein Bedauern mit der Entleibten gehabt, und hätte eben gedacht; sie könnten beide auf diese Art miteinander der Marter auf einmal entledigt und selig werden. Die Jnquisitinn zeigte sich übrigens allezeit ganz gelassen, außer wenn man ihr die erschrekliche That vorgestellt, wie dieses durchaus nicht der Weg zur Seligkeit wäre, vielmehr sie den Zorn Gottes auf sich geladen, hat sie geweint.

Der Arzt fand sie stets vollkommen vernünftig, und sezt in seinen Bericht hinzu, daß sie ihre That blos aus Verzweifelung und Lebensüberdruß unternommen hätte, und dazu bei einem bessern Unterricht in der Religion nicht gebracht seyn würde. Die Justiz verstand diesen Wink nicht -- und weil man sonst oft mit der Todesstrafe so äusserst bereitwillig war, wurde das unglükliche Mädchen nicht lange nach ihrer That hingerichtet.

Aus vorhergehenden und hundert andern dergleichen Beispielen von Lebensüberdruß erhellet deutlich, daß sehr viel Menschen vor dem Tode lange nicht den Abscheu haben, der uns allen so gemein seyn soll. Der Gedanke, nicht mehr zu seyn, ist für sehr viele lange nicht so schreklich, als wirs glauben. Von den Leiden des Lebens niedergedrükt, von allen verlassen, mit körperlichen Schmerzen beladen -- ohne Hofnung daß es jemals besser werden kann, besser werden wird, ist wohl der Entschluß,


sie das unterbrochene Gebet wo sie vorher geblieben, wie sie jeder Zeit gewohnt gewesen wieder fortgesezt. Sie haͤtte kein Bedauern mit der Entleibten gehabt, und haͤtte eben gedacht; sie koͤnnten beide auf diese Art miteinander der Marter auf einmal entledigt und selig werden. Die Jnquisitinn zeigte sich uͤbrigens allezeit ganz gelassen, außer wenn man ihr die erschrekliche That vorgestellt, wie dieses durchaus nicht der Weg zur Seligkeit waͤre, vielmehr sie den Zorn Gottes auf sich geladen, hat sie geweint.

Der Arzt fand sie stets vollkommen vernuͤnftig, und sezt in seinen Bericht hinzu, daß sie ihre That blos aus Verzweifelung und Lebensuͤberdruß unternommen haͤtte, und dazu bei einem bessern Unterricht in der Religion nicht gebracht seyn wuͤrde. Die Justiz verstand diesen Wink nicht — und weil man sonst oft mit der Todesstrafe so aͤusserst bereitwillig war, wurde das ungluͤkliche Maͤdchen nicht lange nach ihrer That hingerichtet.

Aus vorhergehenden und hundert andern dergleichen Beispielen von Lebensuͤberdruß erhellet deutlich, daß sehr viel Menschen vor dem Tode lange nicht den Abscheu haben, der uns allen so gemein seyn soll. Der Gedanke, nicht mehr zu seyn, ist fuͤr sehr viele lange nicht so schreklich, als wirs glauben. Von den Leiden des Lebens niedergedruͤkt, von allen verlassen, mit koͤrperlichen Schmerzen beladen — ohne Hofnung daß es jemals besser werden kann, besser werden wird, ist wohl der Entschluß,

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[39/0039] sie das unterbrochene Gebet wo sie vorher geblieben, wie sie jeder Zeit gewohnt gewesen wieder fortgesezt. Sie haͤtte kein Bedauern mit der Entleibten gehabt, und haͤtte eben gedacht; sie koͤnnten beide auf diese Art miteinander der Marter auf einmal entledigt und selig werden. Die Jnquisitinn zeigte sich uͤbrigens allezeit ganz gelassen, außer wenn man ihr die erschrekliche That vorgestellt, wie dieses durchaus nicht der Weg zur Seligkeit waͤre, vielmehr sie den Zorn Gottes auf sich geladen, hat sie geweint. Der Arzt fand sie stets vollkommen vernuͤnftig, und sezt in seinen Bericht hinzu, daß sie ihre That blos aus Verzweifelung und Lebensuͤberdruß unternommen haͤtte, und dazu bei einem bessern Unterricht in der Religion nicht gebracht seyn wuͤrde. Die Justiz verstand diesen Wink nicht — und weil man sonst oft mit der Todesstrafe so aͤusserst bereitwillig war, wurde das ungluͤkliche Maͤdchen nicht lange nach ihrer That hingerichtet. Aus vorhergehenden und hundert andern dergleichen Beispielen von Lebensuͤberdruß erhellet deutlich, daß sehr viel Menschen vor dem Tode lange nicht den Abscheu haben, der uns allen so gemein seyn soll. Der Gedanke, nicht mehr zu seyn, ist fuͤr sehr viele lange nicht so schreklich, als wirs glauben. Von den Leiden des Lebens niedergedruͤkt, von allen verlassen, mit koͤrperlichen Schmerzen beladen — ohne Hofnung daß es jemals besser werden kann, besser werden wird, ist wohl der Entschluß,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/39>, abgerufen am 21.11.2024.