Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.
c) Die auffallende Gleichgültigkeit im Traum gegen die uns sonst liebsten moralischen Principien und Ueberzeugungen ist eine neue merkwürdige Erscheinung bei Träumenden. Mangel an aller Scham, wilde Affecten, Verachtung religiöser Gegenstände, Blasphemien, und andre abscheuliche Gedanken und Empfindungen, die uns im Wachen nicht beunruhigen, bemerken auch die vortreflichsten Menschen an sich, wenn sie träumen. Jch glaube alles rührt daher, weil die Seele vermöge der fast allein herrschenden Einbildungskraft durch die Vorstellungen sinnlicher verführerischer Bilder so sehr hingerissen wird, daß sie sich die Gründe der Moralität nicht mehr deutlich vorstellen kann, wenigstens sie auf ihre Handlungen zu appliciren vergißt. Ferner auch daher: Jm Traum werden uns die Gegenstände der Sinnlichkeit gleichsam wie hergezaubert, die wir vielleicht
c) Die auffallende Gleichguͤltigkeit im Traum gegen die uns sonst liebsten moralischen Principien und Ueberzeugungen ist eine neue merkwuͤrdige Erscheinung bei Traͤumenden. Mangel an aller Scham, wilde Affecten, Verachtung religioͤser Gegenstaͤnde, Blasphemien, und andre abscheuliche Gedanken und Empfindungen, die uns im Wachen nicht beunruhigen, bemerken auch die vortreflichsten Menschen an sich, wenn sie traͤumen. Jch glaube alles ruͤhrt daher, weil die Seele vermoͤge der fast allein herrschenden Einbildungskraft durch die Vorstellungen sinnlicher verfuͤhrerischer Bilder so sehr hingerissen wird, daß sie sich die Gruͤnde der Moralitaͤt nicht mehr deutlich vorstellen kann, wenigstens sie auf ihre Handlungen zu appliciren vergißt. Ferner auch daher: Jm Traum werden uns die Gegenstaͤnde der Sinnlichkeit gleichsam wie hergezaubert, die wir vielleicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0085" n="85"/><lb/> Verbindung steht; doch so daß sie auch oft hiebei auf Jdeen durch den Affect hingefuͤhrt wird, die mit dem Affect selbst contrastiren. Sie schreitet gemeiniglich auf dem Wege der Jdeenfolge wieder zuruͤck, von dem sie ausgegangen war, oder sie verlaͤßt auch ganz den Hauptweg, und verliehrt sich auf Nebenwegen, wenn diese ihr eine groͤßere Beschaͤftigung versprechen, oder wenn sie darauf leichter als auf dem Hauptwege fortschreiten konnte, u.s.w.</p> <p><hi rendition="#aq">c)</hi> Die auffallende <hi rendition="#b">Gleichguͤltigkeit</hi> im Traum gegen die uns sonst liebsten moralischen Principien und Ueberzeugungen ist eine neue merkwuͤrdige Erscheinung bei Traͤumenden. Mangel an <choice><corr>aller</corr><sic>alle</sic></choice> Scham, wilde Affecten, Verachtung religioͤser Gegenstaͤnde, Blasphemien, und andre abscheuliche Gedanken und Empfindungen, die uns im Wachen nicht beunruhigen, bemerken auch die vortreflichsten Menschen an sich, wenn sie traͤumen. Jch glaube alles ruͤhrt daher, weil die Seele vermoͤge der fast allein herrschenden Einbildungskraft durch die Vorstellungen sinnlicher verfuͤhrerischer Bilder so sehr hingerissen wird, daß sie sich die Gruͤnde der Moralitaͤt nicht mehr <hi rendition="#b">deutlich</hi> vorstellen kann, wenigstens sie auf ihre Handlungen zu appliciren <hi rendition="#b">vergißt.</hi> Ferner auch daher: Jm Traum werden uns die Gegenstaͤnde der Sinnlichkeit gleichsam wie hergezaubert, die wir vielleicht<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0085]
Verbindung steht; doch so daß sie auch oft hiebei auf Jdeen durch den Affect hingefuͤhrt wird, die mit dem Affect selbst contrastiren. Sie schreitet gemeiniglich auf dem Wege der Jdeenfolge wieder zuruͤck, von dem sie ausgegangen war, oder sie verlaͤßt auch ganz den Hauptweg, und verliehrt sich auf Nebenwegen, wenn diese ihr eine groͤßere Beschaͤftigung versprechen, oder wenn sie darauf leichter als auf dem Hauptwege fortschreiten konnte, u.s.w.
c) Die auffallende Gleichguͤltigkeit im Traum gegen die uns sonst liebsten moralischen Principien und Ueberzeugungen ist eine neue merkwuͤrdige Erscheinung bei Traͤumenden. Mangel an aller Scham, wilde Affecten, Verachtung religioͤser Gegenstaͤnde, Blasphemien, und andre abscheuliche Gedanken und Empfindungen, die uns im Wachen nicht beunruhigen, bemerken auch die vortreflichsten Menschen an sich, wenn sie traͤumen. Jch glaube alles ruͤhrt daher, weil die Seele vermoͤge der fast allein herrschenden Einbildungskraft durch die Vorstellungen sinnlicher verfuͤhrerischer Bilder so sehr hingerissen wird, daß sie sich die Gruͤnde der Moralitaͤt nicht mehr deutlich vorstellen kann, wenigstens sie auf ihre Handlungen zu appliciren vergißt. Ferner auch daher: Jm Traum werden uns die Gegenstaͤnde der Sinnlichkeit gleichsam wie hergezaubert, die wir vielleicht
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/85>, abgerufen am 16.07.2024. |