Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.
"Den Diebstahl und das Lügen verabscheuete dieser Herbst außerordentlich, wie ich überhaupt dieses, setzt der Herr Verfasser hinzu, bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe." Dies kann aus mehrern Ursachen herrühren. Die meisten Stummen sind bei ihrer sonst heftigen Gemüthsart doch gemeiniglich furchtsam und schüchtern, und fürchten leicht, daß sie, oder andre wegen einer verübten schlechten Handlung bestraft werden dürften; ferner sind sie erschrecklich mißtrauisch, und glauben, daß man sie immer genau beobachte. Daß der hier angeführte Taubstumme so abgeneigt war, ein Stück Geld zu entwenden, hingegen es doch für kein Unrecht hielt, Speisen hinwegzunehmen, läßt sich wohl aus einem guten Appetit, und der allen rohen Menschen eigenen Gefräßigkeit erklären, wo die Heftigkeit des Jnstinkts dergleichen Handlungen gleichsam erlaubt macht. Der Herr Verfasser erklärt sichs auch unten aus der Erziehung. Eine sehr richtige Bemerkung, die Taubstummen betreffend, ist auch die, daß das Lächerliche leicht einen tiefen Eindruck auf sie machen kann, und sie oft bei den ernsthaftesten Beschäftigungen
»Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser Herbst außerordentlich, wie ich uͤberhaupt dieses, setzt der Herr Verfasser hinzu, bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe.« Dies kann aus mehrern Ursachen herruͤhren. Die meisten Stummen sind bei ihrer sonst heftigen Gemuͤthsart doch gemeiniglich furchtsam und schuͤchtern, und fuͤrchten leicht, daß sie, oder andre wegen einer veruͤbten schlechten Handlung bestraft werden duͤrften; ferner sind sie erschrecklich mißtrauisch, und glauben, daß man sie immer genau beobachte. Daß der hier angefuͤhrte Taubstumme so abgeneigt war, ein Stuͤck Geld zu entwenden, hingegen es doch fuͤr kein Unrecht hielt, Speisen hinwegzunehmen, laͤßt sich wohl aus einem guten Appetit, und der allen rohen Menschen eigenen Gefraͤßigkeit erklaͤren, wo die Heftigkeit des Jnstinkts dergleichen Handlungen gleichsam erlaubt macht. Der Herr Verfasser erklaͤrt sichs auch unten aus der Erziehung. Eine sehr richtige Bemerkung, die Taubstummen betreffend, ist auch die, daß das Laͤcherliche leicht einen tiefen Eindruck auf sie machen kann, und sie oft bei den ernsthaftesten Beschaͤftigungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="8"/><lb/> bezeichnen wußte. Nichts war ihm unertraͤglicher, als wenn junge Leute in der Kirche plauderten. Er theilte einst sogar Stockschlaͤge unter Knaben waͤhrend der Predigt aus, die mit einander zu schwatzen anfingen.«</p> <p>»Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser <hi rendition="#b">Herbst</hi> außerordentlich, wie ich uͤberhaupt dieses, setzt der Herr Verfasser hinzu, bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe.« Dies kann aus mehrern Ursachen herruͤhren. Die meisten Stummen sind bei ihrer sonst heftigen Gemuͤthsart doch gemeiniglich furchtsam und schuͤchtern, und fuͤrchten leicht, daß sie, oder andre wegen einer veruͤbten schlechten Handlung bestraft werden duͤrften; ferner sind sie erschrecklich mißtrauisch, und glauben, daß man sie immer genau beobachte. Daß der hier angefuͤhrte Taubstumme so abgeneigt war, ein Stuͤck Geld zu entwenden, hingegen es doch fuͤr kein Unrecht hielt, Speisen hinwegzunehmen, laͤßt sich wohl aus einem guten Appetit, und der allen rohen Menschen eigenen Gefraͤßigkeit erklaͤren, wo die Heftigkeit des Jnstinkts dergleichen Handlungen gleichsam erlaubt macht. Der Herr Verfasser erklaͤrt sichs auch unten aus der Erziehung.</p> <p>Eine sehr richtige Bemerkung, die Taubstummen betreffend, ist auch die, daß das <hi rendition="#b">Laͤcherliche</hi> leicht einen tiefen Eindruck auf sie machen kann, und sie oft bei den ernsthaftesten Beschaͤftigungen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0010]
bezeichnen wußte. Nichts war ihm unertraͤglicher, als wenn junge Leute in der Kirche plauderten. Er theilte einst sogar Stockschlaͤge unter Knaben waͤhrend der Predigt aus, die mit einander zu schwatzen anfingen.«
»Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser Herbst außerordentlich, wie ich uͤberhaupt dieses, setzt der Herr Verfasser hinzu, bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe.« Dies kann aus mehrern Ursachen herruͤhren. Die meisten Stummen sind bei ihrer sonst heftigen Gemuͤthsart doch gemeiniglich furchtsam und schuͤchtern, und fuͤrchten leicht, daß sie, oder andre wegen einer veruͤbten schlechten Handlung bestraft werden duͤrften; ferner sind sie erschrecklich mißtrauisch, und glauben, daß man sie immer genau beobachte. Daß der hier angefuͤhrte Taubstumme so abgeneigt war, ein Stuͤck Geld zu entwenden, hingegen es doch fuͤr kein Unrecht hielt, Speisen hinwegzunehmen, laͤßt sich wohl aus einem guten Appetit, und der allen rohen Menschen eigenen Gefraͤßigkeit erklaͤren, wo die Heftigkeit des Jnstinkts dergleichen Handlungen gleichsam erlaubt macht. Der Herr Verfasser erklaͤrt sichs auch unten aus der Erziehung.
Eine sehr richtige Bemerkung, die Taubstummen betreffend, ist auch die, daß das Laͤcherliche leicht einen tiefen Eindruck auf sie machen kann, und sie oft bei den ernsthaftesten Beschaͤftigungen
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