Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.
Auch einer erschrecklichen Furcht vor dem Tode war unser Taubstumme ausgesetzt. "Wenn man ihn daran erinnerte, so schien ein eiskalter Schauder durch alle seine Glieder zu laufen, und eine Todtenbläße überzog auf einmal sein Gesicht, und ich wage es nicht zu bestimmen, ob Furcht oder Zorn mehr Antheil daran hatte. Derjenige wählte daher gewiß das sicherste Mittel, ihn auf einige Wochen aus seinem Hause zu verscheuchen, der ihn an seinen Tod erinnerte." Sonderbar war es aber doch immer bei dieser seiner Furcht vor dem Tode, daß er bei jeder Beerdigung, die bei Tage geschah, zugegen war, und dem Todtengräber beim Einscharren getreue Dienste leistete. Die Taubstummen sind unstreitig ein sehr merkwürdiger Gegenstand für den Psychologen, und genaue mit Scharfsinn über sie angestellte Beobachtungen würden mir viel willkommner, als Geschichten von Geistererscheinungen und Ahndungen seyn, die eigentlich nicht einmal in dieses Magazin gehören. Solche Beobachtungen würden gewiß
Auch einer erschrecklichen Furcht vor dem Tode war unser Taubstumme ausgesetzt. »Wenn man ihn daran erinnerte, so schien ein eiskalter Schauder durch alle seine Glieder zu laufen, und eine Todtenblaͤße uͤberzog auf einmal sein Gesicht, und ich wage es nicht zu bestimmen, ob Furcht oder Zorn mehr Antheil daran hatte. Derjenige waͤhlte daher gewiß das sicherste Mittel, ihn auf einige Wochen aus seinem Hause zu verscheuchen, der ihn an seinen Tod erinnerte.« Sonderbar war es aber doch immer bei dieser seiner Furcht vor dem Tode, daß er bei jeder Beerdigung, die bei Tage geschah, zugegen war, und dem Todtengraͤber beim Einscharren getreue Dienste leistete. Die Taubstummen sind unstreitig ein sehr merkwuͤrdiger Gegenstand fuͤr den Psychologen, und genaue mit Scharfsinn uͤber sie angestellte Beobachtungen wuͤrden mir viel willkommner, als Geschichten von Geistererscheinungen und Ahndungen seyn, die eigentlich nicht einmal in dieses Magazin gehoͤren. Solche Beobachtungen wuͤrden gewiß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="11"/><lb/> Geistlichen geschahe, viel dazu beitragen, daß solche Leute einen jeden scheinbaren Beweis von ehlicher Untreue verabscheuen; und daß ihnen natuͤrliche Mißtrauen kann dann leicht verursachen, daß sie die unschuldigste Handlung fuͤr ein Verbrechen halten.</p> <p>Auch einer erschrecklichen Furcht vor dem Tode war unser Taubstumme ausgesetzt. »Wenn man ihn daran erinnerte, so schien ein eiskalter Schauder durch alle seine Glieder zu laufen, und eine Todtenblaͤße uͤberzog auf einmal sein Gesicht, und ich wage es nicht zu bestimmen, ob Furcht oder Zorn mehr Antheil daran hatte. Derjenige waͤhlte daher gewiß das sicherste Mittel, ihn auf einige Wochen aus seinem Hause zu verscheuchen, der ihn an seinen Tod erinnerte.« Sonderbar war es aber doch immer bei dieser seiner Furcht vor dem Tode, daß er bei jeder Beerdigung, die bei Tage geschah, zugegen war, und dem Todtengraͤber beim Einscharren getreue Dienste leistete.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Die Taubstummen sind unstreitig ein sehr merkwuͤrdiger Gegenstand fuͤr den Psychologen, und genaue mit Scharfsinn uͤber sie angestellte Beobachtungen wuͤrden mir viel willkommner, als Geschichten von Geistererscheinungen und Ahndungen seyn, die eigentlich nicht einmal in dieses Magazin gehoͤren. Solche Beobachtungen wuͤrden gewiß<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0013]
Geistlichen geschahe, viel dazu beitragen, daß solche Leute einen jeden scheinbaren Beweis von ehlicher Untreue verabscheuen; und daß ihnen natuͤrliche Mißtrauen kann dann leicht verursachen, daß sie die unschuldigste Handlung fuͤr ein Verbrechen halten.
Auch einer erschrecklichen Furcht vor dem Tode war unser Taubstumme ausgesetzt. »Wenn man ihn daran erinnerte, so schien ein eiskalter Schauder durch alle seine Glieder zu laufen, und eine Todtenblaͤße uͤberzog auf einmal sein Gesicht, und ich wage es nicht zu bestimmen, ob Furcht oder Zorn mehr Antheil daran hatte. Derjenige waͤhlte daher gewiß das sicherste Mittel, ihn auf einige Wochen aus seinem Hause zu verscheuchen, der ihn an seinen Tod erinnerte.« Sonderbar war es aber doch immer bei dieser seiner Furcht vor dem Tode, daß er bei jeder Beerdigung, die bei Tage geschah, zugegen war, und dem Todtengraͤber beim Einscharren getreue Dienste leistete.
Die Taubstummen sind unstreitig ein sehr merkwuͤrdiger Gegenstand fuͤr den Psychologen, und genaue mit Scharfsinn uͤber sie angestellte Beobachtungen wuͤrden mir viel willkommner, als Geschichten von Geistererscheinungen und Ahndungen seyn, die eigentlich nicht einmal in dieses Magazin gehoͤren. Solche Beobachtungen wuͤrden gewiß
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