sen haben! ein Urtheil, das vermuthlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes führen möchte, wenn wir ihm nachgehen könnten. Für Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn übrigens zeigten seine Reden und Erzählungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt hätte scheinen können. Noch weniger konnte er sich wohl mit der Hoffnung täuschen, das Leben zu erhalten. Dasjenige, was ihm bei seiner Erzählung weich machen und Thränen ablocken konnte, waren, lange Zeit, nur seine Frau und Kinder, und das obengedachte vierjährige Schmidtische Kind; für die erstern bat er viel; soll ihnen auch, was ihm von Personen, die ihn in seinem Arrest besuchten, etwa geschenkt worden, alles geschickt, und kaum davon wenige Pfennige, zu einem Maaß Bier oder Trunk Brandwein, für sich behalten haben; das letzte, das Schmidtische Kind, nannte er unschuldig, wollte aber, wie man merken konnte, damals noch damit sagen, daß seine Rache an dessen Eltern nicht ungerecht gewesen sey."
sen haben! ein Urtheil, das vermuthlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten. Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er sich wohl mit der Hoffnung taͤuschen, das Leben zu erhalten. Dasjenige, was ihm bei seiner Erzaͤhlung weich machen und Thraͤnen ablocken konnte, waren, lange Zeit, nur seine Frau und Kinder, und das obengedachte vierjaͤhrige Schmidtische Kind; fuͤr die erstern bat er viel; soll ihnen auch, was ihm von Personen, die ihn in seinem Arrest besuchten, etwa geschenkt worden, alles geschickt, und kaum davon wenige Pfennige, zu einem Maaß Bier oder Trunk Brandwein, fuͤr sich behalten haben; das letzte, das Schmidtische Kind, nannte er unschuldig, wollte aber, wie man merken konnte, damals noch damit sagen, daß seine Rache an dessen Eltern nicht ungerecht gewesen sey.«
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sen haben! ein Urtheil, das vermuthlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten. Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er sich wohl mit der Hoffnung taͤuschen, das Leben zu erhalten. Dasjenige, was ihm bei seiner Erzaͤhlung weich machen und Thraͤnen ablocken konnte, waren, lange Zeit, nur seine Frau und Kinder, und das obengedachte vierjaͤhrige Schmidtische Kind; fuͤr die erstern bat er viel; soll ihnen auch, was ihm von Personen, die ihn in seinem Arrest besuchten, etwa geschenkt worden, alles geschickt, und kaum davon wenige Pfennige, zu einem Maaß Bier oder Trunk Brandwein, fuͤr sich behalten haben; das letzte, das Schmidtische Kind, nannte er unschuldig, wollte aber, wie man merken konnte, damals noch damit sagen, daß seine Rache an dessen Eltern nicht ungerecht gewesen sey.«</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
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sen haben! ein Urtheil, das vermuthlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten. Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er sich wohl mit der Hoffnung taͤuschen, das Leben zu erhalten. Dasjenige, was ihm bei seiner Erzaͤhlung weich machen und Thraͤnen ablocken konnte, waren, lange Zeit, nur seine Frau und Kinder, und das obengedachte vierjaͤhrige Schmidtische Kind; fuͤr die erstern bat er viel; soll ihnen auch, was ihm von Personen, die ihn in seinem Arrest besuchten, etwa geschenkt worden, alles geschickt, und kaum davon wenige Pfennige, zu einem Maaß Bier oder Trunk Brandwein, fuͤr sich behalten haben; das letzte, das Schmidtische Kind, nannte er unschuldig, wollte aber, wie man merken konnte, damals noch damit sagen, daß seine Rache an dessen Eltern nicht ungerecht gewesen sey.«
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/58>, abgerufen am 23.02.2025.
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