Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Jn so fern ich die Wahrheit von ihrer moralischen Seite betrachte, glaub ich, daß kein Mensch weder sich genau kennen lernen, noch seine sittlichen Entzwecke auf die gehörige Art erreichen kann, wenn er nicht seine Gesinnungen in Absicht der Wahrheit unpartheisch prüft. Hier eröfnet sich ein sehr großes Feld von Beobachtungen über die menschliche Natur, und zwar ein Feld, welches, so viel ich weiß, noch in keiner Moralphilosophie genau bearbeitet worden ist. Einen Wahrheits-
Jn so fern ich die Wahrheit von ihrer moralischen Seite betrachte, glaub ich, daß kein Mensch weder sich genau kennen lernen, noch seine sittlichen Entzwecke auf die gehoͤrige Art erreichen kann, wenn er nicht seine Gesinnungen in Absicht der Wahrheit unpartheisch pruͤft. Hier eroͤfnet sich ein sehr großes Feld von Beobachtungen uͤber die menschliche Natur, und zwar ein Feld, welches, so viel ich weiß, noch in keiner Moralphilosophie genau bearbeitet worden ist. Einen Wahrheits- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0109" n="109"/><lb/> Wahrheiten in unsern Augen einen außerordentlichen Werth;</hi> wir uͤberblicken den zuruͤckgelegten Weg einer muͤhsamen Speculation nun mit dem reinsten Vergnuͤgen; — weil das gefundene etwas <hi rendition="#b">Geistiges</hi> ist, und wir durch unsre eigene Kraft die Wahrheit herausgebracht haben; so kommen wir uns viel wichtiger vor, als wenn wir am Ziele eines sinnlichen Wunsches stehen, wobei mehr aͤußere Umstaͤnde, als unser Verstand gewirkt haben. Wir befuͤrchten in jenem Fall keinen Ekel, wie bei diesem sinnlichen Wunsche, weil der <hi rendition="#b">Genuß der Wahrheit, um mich so auszudruͤcken, in der Vorstellung einer Vollkommenheit</hi> besteht, dahingegen die schoͤnsten sinnlichen Wuͤnsche uns doch nur zu etwas Unvollkommenem fuͤhren, das seiner Natur nach veraͤnderlich und wandelbar ist.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Jn so fern ich die Wahrheit von ihrer <hi rendition="#b">moralischen</hi> Seite betrachte, glaub ich, daß kein Mensch weder sich genau kennen lernen, noch seine sittlichen Entzwecke auf die gehoͤrige Art erreichen kann, wenn er nicht seine Gesinnungen in Absicht der Wahrheit unpartheisch pruͤft. Hier eroͤfnet sich ein sehr großes Feld von Beobachtungen uͤber die menschliche Natur, und zwar ein Feld, welches, so viel ich weiß, noch in keiner Moralphilosophie genau bearbeitet worden ist. Einen <hi rendition="#b">Wahrheits-<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0109]
Wahrheiten in unsern Augen einen außerordentlichen Werth; wir uͤberblicken den zuruͤckgelegten Weg einer muͤhsamen Speculation nun mit dem reinsten Vergnuͤgen; — weil das gefundene etwas Geistiges ist, und wir durch unsre eigene Kraft die Wahrheit herausgebracht haben; so kommen wir uns viel wichtiger vor, als wenn wir am Ziele eines sinnlichen Wunsches stehen, wobei mehr aͤußere Umstaͤnde, als unser Verstand gewirkt haben. Wir befuͤrchten in jenem Fall keinen Ekel, wie bei diesem sinnlichen Wunsche, weil der Genuß der Wahrheit, um mich so auszudruͤcken, in der Vorstellung einer Vollkommenheit besteht, dahingegen die schoͤnsten sinnlichen Wuͤnsche uns doch nur zu etwas Unvollkommenem fuͤhren, das seiner Natur nach veraͤnderlich und wandelbar ist.
Jn so fern ich die Wahrheit von ihrer moralischen Seite betrachte, glaub ich, daß kein Mensch weder sich genau kennen lernen, noch seine sittlichen Entzwecke auf die gehoͤrige Art erreichen kann, wenn er nicht seine Gesinnungen in Absicht der Wahrheit unpartheisch pruͤft. Hier eroͤfnet sich ein sehr großes Feld von Beobachtungen uͤber die menschliche Natur, und zwar ein Feld, welches, so viel ich weiß, noch in keiner Moralphilosophie genau bearbeitet worden ist. Einen Wahrheits-
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