Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Jch halte dafür, daß diejenigen Menschen am meisten in Gefahr sind, wider die Regeln jener großen und erhabnen Gesinnung zu fehlen, die der Neigung zum Witz sehr ergeben sind, und sich nicht enthalten können, das blendende und lächerliche eines Gedankens der Wahrheit aufzuopfern. Die Wahrheit sollte uns ihrer Natur nach lieber, als alles andre seyn, weil sie der Grund aller moralischen Vollkommenheit ist; aber es giebt unzählige Fälle, wo der Witz, welcher die Wahrheit in ein schiefes Licht stellt, uns und andern mehr, als die Wahrheit selbst gefällt, weil er entweder einen größern Reiz für unsre Einbildungskraft hat, oder weil die Wahrheit uns schon an sich unangenehm war. Ein jeder witzige Kopf mag sich selbst fragen, wie oft er in seinen Urtheilen über andre unbillig verfährt; wie bereitwillig er ist, die falsche Seite eines Gegenstandes herauszukehren, und die wahre geflissentlich zu verstecken; wie oft seine Wahrheitsliebe durch den Kitzel eines launigen Einfalls gleichsam auf einmal vernichtet wird, und wie zweideutig ihm oft selbst sein moralischer Character hierinn vorkommen muß. --
Jch halte dafuͤr, daß diejenigen Menschen am meisten in Gefahr sind, wider die Regeln jener großen und erhabnen Gesinnung zu fehlen, die der Neigung zum Witz sehr ergeben sind, und sich nicht enthalten koͤnnen, das blendende und laͤcherliche eines Gedankens der Wahrheit aufzuopfern. Die Wahrheit sollte uns ihrer Natur nach lieber, als alles andre seyn, weil sie der Grund aller moralischen Vollkommenheit ist; aber es giebt unzaͤhlige Faͤlle, wo der Witz, welcher die Wahrheit in ein schiefes Licht stellt, uns und andern mehr, als die Wahrheit selbst gefaͤllt, weil er entweder einen groͤßern Reiz fuͤr unsre Einbildungskraft hat, oder weil die Wahrheit uns schon an sich unangenehm war. Ein jeder witzige Kopf mag sich selbst fragen, wie oft er in seinen Urtheilen uͤber andre unbillig verfaͤhrt; wie bereitwillig er ist, die falsche Seite eines Gegenstandes herauszukehren, und die wahre geflissentlich zu verstecken; wie oft seine Wahrheitsliebe durch den Kitzel eines launigen Einfalls gleichsam auf einmal vernichtet wird, und wie zweideutig ihm oft selbst sein moralischer Character hierinn vorkommen muß. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0111" n="111"/><lb/> Doch ich wollte ja hier nur individuelle Beobachtungen uͤber gewisse Seiten der Menschen in Ruͤksicht moralischer Wahrheiten liefern und insonderheit uͤber <hi rendition="#b">Wahrheitsliebe.</hi> </p> <p>Jch halte dafuͤr, daß diejenigen Menschen am meisten in Gefahr sind, wider die Regeln jener großen und erhabnen Gesinnung zu fehlen, die der Neigung zum <hi rendition="#b">Witz</hi> sehr ergeben sind, und sich nicht enthalten koͤnnen, das blendende und laͤcherliche eines Gedankens der Wahrheit aufzuopfern. Die Wahrheit sollte uns ihrer Natur nach lieber, als alles andre seyn, weil sie der Grund aller moralischen Vollkommenheit ist; aber es giebt unzaͤhlige Faͤlle, wo der Witz, welcher die Wahrheit in ein schiefes Licht stellt, uns und andern mehr, als die Wahrheit selbst gefaͤllt, weil er entweder einen groͤßern <hi rendition="#b">Reiz</hi> fuͤr unsre Einbildungskraft hat, oder weil die Wahrheit uns schon an sich unangenehm war. Ein jeder witzige Kopf mag sich selbst fragen, wie oft er in seinen Urtheilen uͤber andre unbillig verfaͤhrt; wie bereitwillig er ist, die falsche Seite eines Gegenstandes herauszukehren, und die wahre geflissentlich zu verstecken; wie oft seine Wahrheitsliebe durch den Kitzel eines launigen Einfalls gleichsam auf einmal vernichtet wird, und wie <hi rendition="#b">zweideutig</hi> ihm oft selbst sein moralischer Character hierinn vorkommen muß. —</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0111]
Doch ich wollte ja hier nur individuelle Beobachtungen uͤber gewisse Seiten der Menschen in Ruͤksicht moralischer Wahrheiten liefern und insonderheit uͤber Wahrheitsliebe.
Jch halte dafuͤr, daß diejenigen Menschen am meisten in Gefahr sind, wider die Regeln jener großen und erhabnen Gesinnung zu fehlen, die der Neigung zum Witz sehr ergeben sind, und sich nicht enthalten koͤnnen, das blendende und laͤcherliche eines Gedankens der Wahrheit aufzuopfern. Die Wahrheit sollte uns ihrer Natur nach lieber, als alles andre seyn, weil sie der Grund aller moralischen Vollkommenheit ist; aber es giebt unzaͤhlige Faͤlle, wo der Witz, welcher die Wahrheit in ein schiefes Licht stellt, uns und andern mehr, als die Wahrheit selbst gefaͤllt, weil er entweder einen groͤßern Reiz fuͤr unsre Einbildungskraft hat, oder weil die Wahrheit uns schon an sich unangenehm war. Ein jeder witzige Kopf mag sich selbst fragen, wie oft er in seinen Urtheilen uͤber andre unbillig verfaͤhrt; wie bereitwillig er ist, die falsche Seite eines Gegenstandes herauszukehren, und die wahre geflissentlich zu verstecken; wie oft seine Wahrheitsliebe durch den Kitzel eines launigen Einfalls gleichsam auf einmal vernichtet wird, und wie zweideutig ihm oft selbst sein moralischer Character hierinn vorkommen muß. —
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |