Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Wenn Leute mit einem falschen Character von jeher den unangenehmsten Eindruck auf mich gemacht haben; so glaube ich, daß der erste Grund davon in der Erziehung liegt, indem mein Vater mit aller Aufmerksamkeit darauf sahe, daß seine Kinder stets offen, frei und ehrlich handeln mußten. Da er eben so mit ihnen umgieng, wurde keine Gelegenheit zur Verstellung gegeben, wozu die meisten Kinder in ihren väterlichen Häusern gewöhnt werden, und da er ein Feind alles heuchlerischen und falschen Wesens war, und darüber sich gemeiniglich sehr stark auszudrücken pflegte; so mußte dies sehr tiefe Eindrücke in den Herzen seiner Kinder zurücklaßen. So wie gemeiniglich nicht grade eine moralische Maxime, eine theoretische Sittenregel den Menschen zum Guten antreibt, sondern sich mit dem Entschlusse gemeiniglich, wenn er zur Reife kommen soll, ein Bild, eine Anschauung aus dem gewöhnlichen Menschenleben verbinden muß; so erinnere ich mich, oft etwas zweideutiges nicht ge-
Wenn Leute mit einem falschen Character von jeher den unangenehmsten Eindruck auf mich gemacht haben; so glaube ich, daß der erste Grund davon in der Erziehung liegt, indem mein Vater mit aller Aufmerksamkeit darauf sahe, daß seine Kinder stets offen, frei und ehrlich handeln mußten. Da er eben so mit ihnen umgieng, wurde keine Gelegenheit zur Verstellung gegeben, wozu die meisten Kinder in ihren vaͤterlichen Haͤusern gewoͤhnt werden, und da er ein Feind alles heuchlerischen und falschen Wesens war, und daruͤber sich gemeiniglich sehr stark auszudruͤcken pflegte; so mußte dies sehr tiefe Eindruͤcke in den Herzen seiner Kinder zuruͤcklaßen. So wie gemeiniglich nicht grade eine moralische Maxime, eine theoretische Sittenregel den Menschen zum Guten antreibt, sondern sich mit dem Entschlusse gemeiniglich, wenn er zur Reife kommen soll, ein Bild, eine Anschauung aus dem gewoͤhnlichen Menschenleben verbinden muß; so erinnere ich mich, oft etwas zweideutiges nicht ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0116" n="116"/><lb/> gefallen wird, und daß uns diese Eigenschaft angenehm seyn muß, weil sie, um Maͤnnern zu gefallen, an denTag gelegt wird. Nur ist es aͤußerst <hi rendition="#b">schwer,</hi> die Graͤnzlinie zu bestimmen, wo die vernuͤnftige Eitelkeit, um mich so auszudruͤcken, aufhoͤrt, und die laͤcherliche bei dem andern oder unserm Geschlecht anfaͤngt.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Wenn Leute mit einem <hi rendition="#b">falschen</hi> Character von jeher den unangenehmsten Eindruck auf mich gemacht haben; so glaube ich, daß der erste Grund davon in der Erziehung liegt, indem mein Vater mit aller Aufmerksamkeit darauf sahe, daß seine Kinder stets offen, frei und ehrlich handeln mußten. Da er eben so mit ihnen umgieng, wurde keine Gelegenheit zur Verstellung gegeben, wozu die meisten Kinder in ihren vaͤterlichen Haͤusern gewoͤhnt werden, und da er ein Feind alles heuchlerischen und falschen Wesens war, und daruͤber sich gemeiniglich sehr stark auszudruͤcken pflegte; so mußte dies sehr tiefe Eindruͤcke in den Herzen seiner Kinder zuruͤcklaßen. So wie gemeiniglich nicht grade eine moralische Maxime, eine theoretische Sittenregel den Menschen zum Guten antreibt, sondern sich mit dem Entschlusse gemeiniglich, wenn er zur Reife kommen soll, <hi rendition="#b">ein Bild, eine Anschauung</hi> aus dem gewoͤhnlichen Menschenleben verbinden muß; so erinnere ich mich, oft etwas zweideutiges <hi rendition="#b">nicht </hi> ge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0116]
gefallen wird, und daß uns diese Eigenschaft angenehm seyn muß, weil sie, um Maͤnnern zu gefallen, an denTag gelegt wird. Nur ist es aͤußerst schwer, die Graͤnzlinie zu bestimmen, wo die vernuͤnftige Eitelkeit, um mich so auszudruͤcken, aufhoͤrt, und die laͤcherliche bei dem andern oder unserm Geschlecht anfaͤngt.
Wenn Leute mit einem falschen Character von jeher den unangenehmsten Eindruck auf mich gemacht haben; so glaube ich, daß der erste Grund davon in der Erziehung liegt, indem mein Vater mit aller Aufmerksamkeit darauf sahe, daß seine Kinder stets offen, frei und ehrlich handeln mußten. Da er eben so mit ihnen umgieng, wurde keine Gelegenheit zur Verstellung gegeben, wozu die meisten Kinder in ihren vaͤterlichen Haͤusern gewoͤhnt werden, und da er ein Feind alles heuchlerischen und falschen Wesens war, und daruͤber sich gemeiniglich sehr stark auszudruͤcken pflegte; so mußte dies sehr tiefe Eindruͤcke in den Herzen seiner Kinder zuruͤcklaßen. So wie gemeiniglich nicht grade eine moralische Maxime, eine theoretische Sittenregel den Menschen zum Guten antreibt, sondern sich mit dem Entschlusse gemeiniglich, wenn er zur Reife kommen soll, ein Bild, eine Anschauung aus dem gewoͤhnlichen Menschenleben verbinden muß; so erinnere ich mich, oft etwas zweideutiges nicht ge-
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