Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.Jch gehe noch weiter. Man wird nicht nur jene erzählten Phänomene nicht auflösen können, sondern sie machen selbst die, welche man begriffen zu haben glaubt, unerklärbar, und die Untersuchungen, die man entschieden zu haben glaubt, dunkel und zweifelhaft. Z.B. a) Man glaubt gemeiniglich, daß der Schlaf in einer gänzlichen Erschlaffung besteht, welcher den Gebrauch der Sinne und aller willkürlichen Bewegungen aufhebt; -- aber bedient sich denn der Nachtwandler nicht einige seiner Sinne; bewegt er nicht verschiedene Theile seines Körpers mit Absicht und Kenntniß der Ursach? und demohnerachtet ist der Schlaf sehr tief. b) Wenn er sich nicht seiner Sinne bedient, um Empfindungen zu bekommen, wie dies bisweilen unläugbar geschieht; so kann man mit Grunde schließen, daß selbst körperliche Objecte sich dem Verstande ohne Sinne vergegenwärtigen und darstellen können. Eine offenbare Ausnahme des berühmten Grundsatzes: nihil est in intellectu, quod prius non fuerit in sensu. Man muß diese Erscheinungen nicht mit denen eines Träumenden verwechseln. Ein Träumender eben so wie ein Wahnwitziger sehen Gegenstände als gegenwärtig, die es nicht sind. -- Dies ist ein Fehler des Bewußtseyns, und bisweilen des Verstandes; -- aber bei dem Nachtwandler sind die Objecte der Jmaginationen gegenwärtig, als wenn sie durch die Sinne hinein gekommen wären. Jch gehe noch weiter. Man wird nicht nur jene erzaͤhlten Phaͤnomene nicht aufloͤsen koͤnnen, sondern sie machen selbst die, welche man begriffen zu haben glaubt, unerklaͤrbar, und die Untersuchungen, die man entschieden zu haben glaubt, dunkel und zweifelhaft. Z.B. a) Man glaubt gemeiniglich, daß der Schlaf in einer gaͤnzlichen Erschlaffung besteht, welcher den Gebrauch der Sinne und aller willkuͤrlichen Bewegungen aufhebt; — aber bedient sich denn der Nachtwandler nicht einige seiner Sinne; bewegt er nicht verschiedene Theile seines Koͤrpers mit Absicht und Kenntniß der Ursach? und demohnerachtet ist der Schlaf sehr tief. b) Wenn er sich nicht seiner Sinne bedient, um Empfindungen zu bekommen, wie dies bisweilen unlaͤugbar geschieht; so kann man mit Grunde schließen, daß selbst koͤrperliche Objecte sich dem Verstande ohne Sinne vergegenwaͤrtigen und darstellen koͤnnen. Eine offenbare Ausnahme des beruͤhmten Grundsatzes: nihil est in intellectu, quod prius non fuerit in sensu. Man muß diese Erscheinungen nicht mit denen eines Traͤumenden verwechseln. Ein Traͤumender eben so wie ein Wahnwitziger sehen Gegenstaͤnde als gegenwaͤrtig, die es nicht sind. — Dies ist ein Fehler des Bewußtseyns, und bisweilen des Verstandes; — aber bei dem Nachtwandler sind die Objecte der Jmaginationen gegenwaͤrtig, als wenn sie durch die Sinne hinein gekommen waͤren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0066" n="66"/><lb/> <p>Jch gehe noch weiter. Man wird nicht nur jene erzaͤhlten Phaͤnomene nicht aufloͤsen koͤnnen, sondern sie machen selbst die, welche man begriffen zu haben glaubt, unerklaͤrbar, und die Untersuchungen, die man entschieden zu haben glaubt, dunkel und zweifelhaft. Z.B.</p> <p><hi rendition="#aq">a)</hi> Man glaubt gemeiniglich, daß der Schlaf in einer gaͤnzlichen Erschlaffung besteht, welcher den Gebrauch der Sinne und aller willkuͤrlichen Bewegungen aufhebt; — aber bedient sich denn der Nachtwandler nicht einige seiner Sinne; bewegt er nicht verschiedene Theile seines Koͤrpers mit Absicht und Kenntniß der Ursach? und demohnerachtet ist der Schlaf sehr tief. <hi rendition="#aq">b)</hi> Wenn er sich nicht seiner Sinne bedient, um Empfindungen zu bekommen, wie dies bisweilen unlaͤugbar geschieht; so kann man mit Grunde schließen, daß selbst koͤrperliche Objecte sich dem Verstande <hi rendition="#b">ohne</hi> Sinne vergegenwaͤrtigen und darstellen koͤnnen. Eine offenbare Ausnahme des beruͤhmten Grundsatzes: <hi rendition="#aq">nihil est in intellectu, quod prius non fuerit in sensu.</hi> Man muß diese Erscheinungen nicht mit denen eines Traͤumenden verwechseln. Ein Traͤumender eben so wie ein Wahnwitziger sehen Gegenstaͤnde als gegenwaͤrtig, die es nicht sind. — Dies ist ein Fehler des Bewußtseyns, und bisweilen des Verstandes; — aber bei dem Nachtwandler sind die Objecte der Jmaginationen gegenwaͤrtig, als wenn sie durch die Sinne hinein gekommen waͤren.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0066]
Jch gehe noch weiter. Man wird nicht nur jene erzaͤhlten Phaͤnomene nicht aufloͤsen koͤnnen, sondern sie machen selbst die, welche man begriffen zu haben glaubt, unerklaͤrbar, und die Untersuchungen, die man entschieden zu haben glaubt, dunkel und zweifelhaft. Z.B.
a) Man glaubt gemeiniglich, daß der Schlaf in einer gaͤnzlichen Erschlaffung besteht, welcher den Gebrauch der Sinne und aller willkuͤrlichen Bewegungen aufhebt; — aber bedient sich denn der Nachtwandler nicht einige seiner Sinne; bewegt er nicht verschiedene Theile seines Koͤrpers mit Absicht und Kenntniß der Ursach? und demohnerachtet ist der Schlaf sehr tief. b) Wenn er sich nicht seiner Sinne bedient, um Empfindungen zu bekommen, wie dies bisweilen unlaͤugbar geschieht; so kann man mit Grunde schließen, daß selbst koͤrperliche Objecte sich dem Verstande ohne Sinne vergegenwaͤrtigen und darstellen koͤnnen. Eine offenbare Ausnahme des beruͤhmten Grundsatzes: nihil est in intellectu, quod prius non fuerit in sensu. Man muß diese Erscheinungen nicht mit denen eines Traͤumenden verwechseln. Ein Traͤumender eben so wie ein Wahnwitziger sehen Gegenstaͤnde als gegenwaͤrtig, die es nicht sind. — Dies ist ein Fehler des Bewußtseyns, und bisweilen des Verstandes; — aber bei dem Nachtwandler sind die Objecte der Jmaginationen gegenwaͤrtig, als wenn sie durch die Sinne hinein gekommen waͤren.
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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