Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


Mathematiker und Astronom wie ihr Mann war, bekam auf einmal, nach einer Krankheit, ein Vergessen oder vielmehr ein Unvermögen, eine Verwirrung der Sprache, welche der biblischen Beschreibung von der Verwirrung zu Babel, vollkommen gleich war.

Nemlich, wenn sie einen Stuhl begehrte, forderte sie einen Tisch, wenn sie ein Buch haben wollte, forderte sie einen Spiegel. Und wenn man ihr das Wort, welches sie gesucht, und an dessen Statt sie ein anderes gesetzt hatte, vorsagte, konnte sie niemals dazu kommen, es zu wiederholen.

Bisweilen merkte sie selbst, daß sie die Sache unrecht nannte, ein ander mal ärgerte sie sich, wenn man, da sie ihren Fächer forderte, ihr denselben brachte, anstatt der Haube, welche sie glaubte genannt zu haben.

Dieses außerordentliche Derangement hat verschiedene Monathe bei ihr angehalten.

Ueberhaupt war ihre Sprache verwirrt und ein wenig schwer, aber ihre Vergessenheit erstreckte sich nur auf einige Worte der Sprache. Sie hatte übrigens ein so getreues Gedächtniß, daß sie fortfuhr, ihren Haushalt zu besorgen; sie zeigte sogar ihrem Manne den Stand des Himmels auf einer Karte so richtig als bei vollkommener Gesundheit.

Nach und nach ist die Frau H. wieder genesen, und hat noch verschiedene Jahre, bei dem vollkommenen Gebrauch ihrer Seelenkräfte, gelebt.



Mathematiker und Astronom wie ihr Mann war, bekam auf einmal, nach einer Krankheit, ein Vergessen oder vielmehr ein Unvermoͤgen, eine Verwirrung der Sprache, welche der biblischen Beschreibung von der Verwirrung zu Babel, vollkommen gleich war.

Nemlich, wenn sie einen Stuhl begehrte, forderte sie einen Tisch, wenn sie ein Buch haben wollte, forderte sie einen Spiegel. Und wenn man ihr das Wort, welches sie gesucht, und an dessen Statt sie ein anderes gesetzt hatte, vorsagte, konnte sie niemals dazu kommen, es zu wiederholen.

Bisweilen merkte sie selbst, daß sie die Sache unrecht nannte, ein ander mal aͤrgerte sie sich, wenn man, da sie ihren Faͤcher forderte, ihr denselben brachte, anstatt der Haube, welche sie glaubte genannt zu haben.

Dieses außerordentliche Derangement hat verschiedene Monathe bei ihr angehalten.

Ueberhaupt war ihre Sprache verwirrt und ein wenig schwer, aber ihre Vergessenheit erstreckte sich nur auf einige Worte der Sprache. Sie hatte uͤbrigens ein so getreues Gedaͤchtniß, daß sie fortfuhr, ihren Haushalt zu besorgen; sie zeigte sogar ihrem Manne den Stand des Himmels auf einer Karte so richtig als bei vollkommener Gesundheit.

Nach und nach ist die Frau H. wieder genesen, und hat noch verschiedene Jahre, bei dem vollkommenen Gebrauch ihrer Seelenkraͤfte, gelebt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0079" n="79"/><lb/>
Mathematiker und                         Astronom wie ihr Mann war, bekam auf einmal, nach einer Krankheit, ein                         Vergessen oder vielmehr ein Unvermo&#x0364;gen, eine Verwirrung der Sprache, welche                         der biblischen Beschreibung von der Verwirrung zu Babel, vollkommen gleich                         war.</p>
                <p>Nemlich, wenn sie einen <hi rendition="#b">Stuhl</hi> begehrte, forderte sie                         einen <hi rendition="#b">Tisch,</hi> wenn sie ein <hi rendition="#b">Buch</hi> haben wollte, forderte sie einen <hi rendition="#b">Spiegel.</hi> Und wenn man ihr das Wort, welches sie gesucht, und an                         dessen Statt sie ein anderes gesetzt hatte, vorsagte, konnte sie niemals                         dazu kommen, es zu wiederholen.</p>
                <p>Bisweilen merkte sie selbst, daß sie die Sache unrecht nannte, ein ander mal                         a&#x0364;rgerte sie sich, wenn man, da sie ihren <hi rendition="#b">Fa&#x0364;cher</hi> forderte, ihr <hi rendition="#b">denselben</hi> brachte, anstatt der <hi rendition="#b">Haube,</hi> welche sie glaubte genannt zu haben.</p>
                <p>Dieses außerordentliche Derangement hat verschiedene Monathe bei ihr                         angehalten.</p>
                <p>Ueberhaupt war ihre Sprache verwirrt und ein wenig schwer, aber ihre                         Vergessenheit erstreckte sich nur auf einige Worte der Sprache. Sie hatte                         u&#x0364;brigens ein so getreues Geda&#x0364;chtniß, daß sie fortfuhr, ihren Haushalt zu                         besorgen; sie zeigte sogar ihrem Manne den Stand des Himmels auf einer Karte                         so richtig als bei vollkommener Gesundheit.</p>
                <p>Nach und nach ist die Frau H. wieder genesen, und hat noch verschiedene                         Jahre, bei dem vollkommenen Gebrauch ihrer Seelenkra&#x0364;fte, gelebt.</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0079] Mathematiker und Astronom wie ihr Mann war, bekam auf einmal, nach einer Krankheit, ein Vergessen oder vielmehr ein Unvermoͤgen, eine Verwirrung der Sprache, welche der biblischen Beschreibung von der Verwirrung zu Babel, vollkommen gleich war. Nemlich, wenn sie einen Stuhl begehrte, forderte sie einen Tisch, wenn sie ein Buch haben wollte, forderte sie einen Spiegel. Und wenn man ihr das Wort, welches sie gesucht, und an dessen Statt sie ein anderes gesetzt hatte, vorsagte, konnte sie niemals dazu kommen, es zu wiederholen. Bisweilen merkte sie selbst, daß sie die Sache unrecht nannte, ein ander mal aͤrgerte sie sich, wenn man, da sie ihren Faͤcher forderte, ihr denselben brachte, anstatt der Haube, welche sie glaubte genannt zu haben. Dieses außerordentliche Derangement hat verschiedene Monathe bei ihr angehalten. Ueberhaupt war ihre Sprache verwirrt und ein wenig schwer, aber ihre Vergessenheit erstreckte sich nur auf einige Worte der Sprache. Sie hatte uͤbrigens ein so getreues Gedaͤchtniß, daß sie fortfuhr, ihren Haushalt zu besorgen; sie zeigte sogar ihrem Manne den Stand des Himmels auf einer Karte so richtig als bei vollkommener Gesundheit. Nach und nach ist die Frau H. wieder genesen, und hat noch verschiedene Jahre, bei dem vollkommenen Gebrauch ihrer Seelenkraͤfte, gelebt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/79
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/79>, abgerufen am 23.11.2024.