Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Da unsere Empfindungen gar nichts mit den Gegenständen, die sie hervorbringen, Aehnliches haben; so ist es unmöglich, daß Verlangen, Furcht, Schrecken, und jede andere Leidenschaft und innre Erschütterung, würkliche Bilder von den Gegenständen hervorbringen können. Da in dieser Rücksicht das Kind von der Mutter eben so unabhängig ist, als das Ey von der Henne, die es ausbrütet: so kann ich so gerne, oder vielmehr eben so wenig glauben, daß die Einbildungskraft einer Henne, die einem Hahne den Hals umdrehen sieht, in den Eyern, die sie blos erwärmet, Hühnchen hervorbringen könne, deren Hälse auch umgedrehet wären: als ich die Geschichte von der Würkung der Einbildungskraft einer Frau glauben kann, die nachdem sie einen Verbrecher rädern gesehen, ein Kind zur Welt gebracht habe, dessen Glieder zerbrochen gewesen. Gesetzt aber auch auf einen Augenblick, daß diese Geschichte wahr ist; so behaupte ich dennoch, daß die Einbildungskraft der Mutter eine solche Würkung nicht hat hervorbringen können; denn welches kann wohl der Erfolg von dieser Gemüthsbewegung und von diesem Schrecken seyn? -- Wenn man will, eine innre Erschütterung, gichtische Bewegung in dem Körper der Mutter, welche die Gebährmutter auch in Bewegung setzen
Da unsere Empfindungen gar nichts mit den Gegenstaͤnden, die sie hervorbringen, Aehnliches haben; so ist es unmoͤglich, daß Verlangen, Furcht, Schrecken, und jede andere Leidenschaft und innre Erschuͤtterung, wuͤrkliche Bilder von den Gegenstaͤnden hervorbringen koͤnnen. Da in dieser Ruͤcksicht das Kind von der Mutter eben so unabhaͤngig ist, als das Ey von der Henne, die es ausbruͤtet: so kann ich so gerne, oder vielmehr eben so wenig glauben, daß die Einbildungskraft einer Henne, die einem Hahne den Hals umdrehen sieht, in den Eyern, die sie blos erwaͤrmet, Huͤhnchen hervorbringen koͤnne, deren Haͤlse auch umgedrehet waͤren: als ich die Geschichte von der Wuͤrkung der Einbildungskraft einer Frau glauben kann, die nachdem sie einen Verbrecher raͤdern gesehen, ein Kind zur Welt gebracht habe, dessen Glieder zerbrochen gewesen. Gesetzt aber auch auf einen Augenblick, daß diese Geschichte wahr ist; so behaupte ich dennoch, daß die Einbildungskraft der Mutter eine solche Wuͤrkung nicht hat hervorbringen koͤnnen; denn welches kann wohl der Erfolg von dieser Gemuͤthsbewegung und von diesem Schrecken seyn? — Wenn man will, eine innre Erschuͤtterung, gichtische Bewegung in dem Koͤrper der Mutter, welche die Gebaͤhrmutter auch in Bewegung setzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0031" n="29"/><lb/> der Mutter sich auf der Haut des Kindes abmahlten! — </p> <p>Da unsere Empfindungen gar nichts mit den Gegenstaͤnden, die sie hervorbringen, Aehnliches haben; so ist es unmoͤglich, daß Verlangen, Furcht, Schrecken, und jede andere Leidenschaft und innre Erschuͤtterung, wuͤrkliche Bilder von den Gegenstaͤnden hervorbringen koͤnnen.</p> <p>Da in dieser Ruͤcksicht das Kind von der Mutter eben so unabhaͤngig ist, als das Ey von der Henne, die es ausbruͤtet: so kann ich so gerne, oder vielmehr eben so wenig glauben, daß die Einbildungskraft einer Henne, die einem Hahne den Hals umdrehen sieht, in den Eyern, die sie blos erwaͤrmet, Huͤhnchen hervorbringen koͤnne, deren Haͤlse auch umgedrehet waͤren: als ich die Geschichte von der Wuͤrkung der Einbildungskraft einer Frau glauben kann, die nachdem sie einen Verbrecher raͤdern gesehen, ein Kind zur Welt gebracht habe, dessen Glieder zerbrochen gewesen.</p> <p>Gesetzt aber auch auf einen Augenblick, daß diese Geschichte wahr ist; so behaupte ich dennoch, daß die Einbildungskraft der Mutter eine solche Wuͤrkung nicht hat hervorbringen koͤnnen; denn welches kann wohl der Erfolg von dieser Gemuͤthsbewegung und von diesem Schrecken seyn? — </p> <p>Wenn man will, eine innre Erschuͤtterung, gichtische Bewegung in dem Koͤrper der Mutter, welche die Gebaͤhrmutter auch in Bewegung setzen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0031]
der Mutter sich auf der Haut des Kindes abmahlten! —
Da unsere Empfindungen gar nichts mit den Gegenstaͤnden, die sie hervorbringen, Aehnliches haben; so ist es unmoͤglich, daß Verlangen, Furcht, Schrecken, und jede andere Leidenschaft und innre Erschuͤtterung, wuͤrkliche Bilder von den Gegenstaͤnden hervorbringen koͤnnen.
Da in dieser Ruͤcksicht das Kind von der Mutter eben so unabhaͤngig ist, als das Ey von der Henne, die es ausbruͤtet: so kann ich so gerne, oder vielmehr eben so wenig glauben, daß die Einbildungskraft einer Henne, die einem Hahne den Hals umdrehen sieht, in den Eyern, die sie blos erwaͤrmet, Huͤhnchen hervorbringen koͤnne, deren Haͤlse auch umgedrehet waͤren: als ich die Geschichte von der Wuͤrkung der Einbildungskraft einer Frau glauben kann, die nachdem sie einen Verbrecher raͤdern gesehen, ein Kind zur Welt gebracht habe, dessen Glieder zerbrochen gewesen.
Gesetzt aber auch auf einen Augenblick, daß diese Geschichte wahr ist; so behaupte ich dennoch, daß die Einbildungskraft der Mutter eine solche Wuͤrkung nicht hat hervorbringen koͤnnen; denn welches kann wohl der Erfolg von dieser Gemuͤthsbewegung und von diesem Schrecken seyn? —
Wenn man will, eine innre Erschuͤtterung, gichtische Bewegung in dem Koͤrper der Mutter, welche die Gebaͤhrmutter auch in Bewegung setzen
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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