Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.Zur Seelenkrankheitskunde. 1. Aus einem Briefe. Jst jedes Phänomen am Horizont der menschlichen Natur wichtig genug, so wird Jhnen dieses -- gleichviel auf welcher Sternwarte entdeckt -- gewis auch willkommen seyn. Jhnen Zu -- studierte vor einiger Zeit ein gewisser --g, ein junger Mann von anerkannten großen Fähigkeiten. Der Hauptzug seines Charakters war ein gewisser kalter Spott, den ich wohl aus einer hellern Jntuition der menschlichen Dinge, als gewöhnlich ist, herleiten möchte. Denn sein kerngesunder Verstand ließ sich nicht leicht von seinem warmen Blute, oder wenn man lieber will, sein Kopf ließ sich von seinem Herzen nicht leicht bestechen. Sein Herz war sonst das beste, und wenn er sich auch zuweilen über Gefühle lustig machte, die andern eine Quelle von Wonne sind, so waren ihm doch die Gefühle der Freundschaft desto heiliger, Zur Seelenkrankheitskunde. 1. Aus einem Briefe. Jst jedes Phaͤnomen am Horizont der menschlichen Natur wichtig genug, so wird Jhnen dieses — gleichviel auf welcher Sternwarte entdeckt — gewis auch willkommen seyn. Jhnen Zu — studierte vor einiger Zeit ein gewisser —g, ein junger Mann von anerkannten großen Faͤhigkeiten. Der Hauptzug seines Charakters war ein gewisser kalter Spott, den ich wohl aus einer hellern Jntuition der menschlichen Dinge, als gewoͤhnlich ist, herleiten moͤchte. Denn sein kerngesunder Verstand ließ sich nicht leicht von seinem warmen Blute, oder wenn man lieber will, sein Kopf ließ sich von seinem Herzen nicht leicht bestechen. Sein Herz war sonst das beste, und wenn er sich auch zuweilen uͤber Gefuͤhle lustig machte, die andern eine Quelle von Wonne sind, so waren ihm doch die Gefuͤhle der Freundschaft desto heiliger, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0008" n="6"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head>Zur Seelenkrankheitskunde.</head><lb/> <div n="3"> <head>1. Aus einem Briefe.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref999"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <p>Jst <persName ref="#ref1"><note type="editorial">Moritz</note>Jhnen</persName> jedes Phaͤnomen am Horizont der menschlichen Natur wichtig genug, so wird Jhnen dieses — gleichviel auf welcher Sternwarte entdeckt — gewis auch willkommen seyn. </p> <p>Zu — studierte vor einiger Zeit ein gewisser —g, ein junger Mann von anerkannten großen Faͤhigkeiten. Der Hauptzug seines Charakters war ein gewisser kalter Spott, den ich wohl aus einer hellern Jntuition der menschlichen Dinge, als gewoͤhnlich ist, herleiten moͤchte. </p> <p>Denn sein kerngesunder Verstand ließ sich nicht leicht von seinem warmen Blute, oder wenn man lieber will, sein Kopf ließ sich von seinem Herzen nicht leicht bestechen.</p> <p>Sein Herz war sonst das beste, und wenn er sich auch zuweilen uͤber Gefuͤhle lustig machte, die andern eine Quelle von Wonne sind, so waren ihm doch die Gefuͤhle der Freundschaft desto heiliger,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0008]
Zur Seelenkrankheitskunde.
1. Aus einem Briefe.
Jst Jhnen jedes Phaͤnomen am Horizont der menschlichen Natur wichtig genug, so wird Jhnen dieses — gleichviel auf welcher Sternwarte entdeckt — gewis auch willkommen seyn.
Zu — studierte vor einiger Zeit ein gewisser —g, ein junger Mann von anerkannten großen Faͤhigkeiten. Der Hauptzug seines Charakters war ein gewisser kalter Spott, den ich wohl aus einer hellern Jntuition der menschlichen Dinge, als gewoͤhnlich ist, herleiten moͤchte.
Denn sein kerngesunder Verstand ließ sich nicht leicht von seinem warmen Blute, oder wenn man lieber will, sein Kopf ließ sich von seinem Herzen nicht leicht bestechen.
Sein Herz war sonst das beste, und wenn er sich auch zuweilen uͤber Gefuͤhle lustig machte, die andern eine Quelle von Wonne sind, so waren ihm doch die Gefuͤhle der Freundschaft desto heiliger,
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