Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Wo ich nun gieng und stand, war mir die Jdee von N.. gegenwärtig. Mit dem Gedanken an ihn schlief ich ein, und mit ihm erwachte ich wieder. Er war so in mein Wesen eingewebt, daß ich nur dann aufhörte mir seiner bewußt zu seyn, wenn ich mein eigenes Bewußtseyn verlohr, nehmlich im Schlafe. So lange ich wach war, 17 Stunden des Tages, ruhete sein Bild in meiner Seele. Wachte ich des Nachts auf, so war er mein Gedanke. Bisweilen stieg meine Leidenschaft bis auf den höchsten Grad, so daß sie mich fast zu Boden drückte. Vorzüglich war dies des Abends der Fall, wenn ich lange auf einen Gegenstand hinsahe. Dann schob mir meine Phantasie oft statt des vorigen Gegenstandes das mir immer gegenwärtige Bild N..s unter. Die mich umgebenden Dinge, nur durch den bloßen Schimmer des Lichts erhellt, zerstreuten meine Aufmerksamkeit nicht, meine Sinne schwanden, alle meine Gedanken, Neigungen und Wünsche concentrirten sich in die einzige Vorstellung von N.., ich empfand nichts als den Schmerz der heftigsten Sehnsucht, und in der größten Beklemmung stand ich einigemale im Begrif, wie ein von der heftigsten Kolik Geplagter, mich in der Stube herumzuwälzen. Und wahrscheinlich hätte ich es gethan, wenn meine Stube nicht mit Sand bestreut, und ich in Gefahr gewesen wäre, mir Gesicht und Hände zu zerritzen. Wo ich nun gieng und stand, war mir die Jdee von N.. gegenwaͤrtig. Mit dem Gedanken an ihn schlief ich ein, und mit ihm erwachte ich wieder. Er war so in mein Wesen eingewebt, daß ich nur dann aufhoͤrte mir seiner bewußt zu seyn, wenn ich mein eigenes Bewußtseyn verlohr, nehmlich im Schlafe. So lange ich wach war, 17 Stunden des Tages, ruhete sein Bild in meiner Seele. Wachte ich des Nachts auf, so war er mein Gedanke. Bisweilen stieg meine Leidenschaft bis auf den hoͤchsten Grad, so daß sie mich fast zu Boden druͤckte. Vorzuͤglich war dies des Abends der Fall, wenn ich lange auf einen Gegenstand hinsahe. Dann schob mir meine Phantasie oft statt des vorigen Gegenstandes das mir immer gegenwaͤrtige Bild N..s unter. Die mich umgebenden Dinge, nur durch den bloßen Schimmer des Lichts erhellt, zerstreuten meine Aufmerksamkeit nicht, meine Sinne schwanden, alle meine Gedanken, Neigungen und Wuͤnsche concentrirten sich in die einzige Vorstellung von N.., ich empfand nichts als den Schmerz der heftigsten Sehnsucht, und in der groͤßten Beklemmung stand ich einigemale im Begrif, wie ein von der heftigsten Kolik Geplagter, mich in der Stube herumzuwaͤlzen. Und wahrscheinlich haͤtte ich es gethan, wenn meine Stube nicht mit Sand bestreut, und ich in Gefahr gewesen waͤre, mir Gesicht und Haͤnde zu zerritzen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0102" n="102"/><lb/> <p>Wo ich nun gieng und stand, war mir die Jdee von N.. gegenwaͤrtig. Mit dem Gedanken an ihn schlief ich ein, und mit ihm erwachte ich wieder. Er war so in mein Wesen eingewebt, daß ich nur dann aufhoͤrte mir seiner bewußt zu seyn, wenn ich mein eigenes Bewußtseyn verlohr, nehmlich im Schlafe. So lange ich wach war, 17 Stunden des Tages, ruhete sein Bild in meiner Seele. Wachte ich des Nachts auf, so war er mein Gedanke.</p> <p>Bisweilen stieg meine Leidenschaft bis auf den hoͤchsten Grad, so daß sie mich fast zu Boden druͤckte. Vorzuͤglich war dies des Abends der Fall, wenn ich lange auf einen Gegenstand hinsahe. Dann schob mir meine Phantasie oft statt des vorigen Gegenstandes das mir immer gegenwaͤrtige Bild N..s unter. Die mich umgebenden Dinge, nur durch den bloßen Schimmer des Lichts erhellt, zerstreuten meine Aufmerksamkeit nicht, meine Sinne schwanden, alle meine Gedanken, Neigungen und Wuͤnsche concentrirten sich in die einzige Vorstellung von N.., ich empfand nichts als den Schmerz der heftigsten Sehnsucht, und in der groͤßten Beklemmung stand ich einigemale im Begrif, wie ein von der heftigsten Kolik Geplagter, mich in der Stube herumzuwaͤlzen. Und wahrscheinlich haͤtte ich es gethan, wenn meine Stube nicht mit Sand bestreut, und ich in Gefahr gewesen waͤre, mir Gesicht und Haͤnde zu zerritzen. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0102]
Wo ich nun gieng und stand, war mir die Jdee von N.. gegenwaͤrtig. Mit dem Gedanken an ihn schlief ich ein, und mit ihm erwachte ich wieder. Er war so in mein Wesen eingewebt, daß ich nur dann aufhoͤrte mir seiner bewußt zu seyn, wenn ich mein eigenes Bewußtseyn verlohr, nehmlich im Schlafe. So lange ich wach war, 17 Stunden des Tages, ruhete sein Bild in meiner Seele. Wachte ich des Nachts auf, so war er mein Gedanke.
Bisweilen stieg meine Leidenschaft bis auf den hoͤchsten Grad, so daß sie mich fast zu Boden druͤckte. Vorzuͤglich war dies des Abends der Fall, wenn ich lange auf einen Gegenstand hinsahe. Dann schob mir meine Phantasie oft statt des vorigen Gegenstandes das mir immer gegenwaͤrtige Bild N..s unter. Die mich umgebenden Dinge, nur durch den bloßen Schimmer des Lichts erhellt, zerstreuten meine Aufmerksamkeit nicht, meine Sinne schwanden, alle meine Gedanken, Neigungen und Wuͤnsche concentrirten sich in die einzige Vorstellung von N.., ich empfand nichts als den Schmerz der heftigsten Sehnsucht, und in der groͤßten Beklemmung stand ich einigemale im Begrif, wie ein von der heftigsten Kolik Geplagter, mich in der Stube herumzuwaͤlzen. Und wahrscheinlich haͤtte ich es gethan, wenn meine Stube nicht mit Sand bestreut, und ich in Gefahr gewesen waͤre, mir Gesicht und Haͤnde zu zerritzen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/102>, abgerufen am 16.02.2025. |