Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


reicher war als der meinige, als auch ein höheres Amt bekleidete, obgleich mein Vater auch vom Stande der Gelehrten war. Dieser obwohl geringe Unterschied unter uns verstärkte meinen Schwindel um vieles.-- Und eben die noch größere Ungleichheit des Standes, glaub ich, war die Ursache, warum der junge Mann --g, dessen Geschichte im ersten Stücke des achten Bandes erzählt worden ist, zitterte, wenn er sich de Edelmann näherte, den er so leidenschaftlich liebte.

Gehe ich die Geschichte meines Lebens durch, so liegen mir die Ursachen dieser meiner Verirrung deutlich vor Augen. Von Jugend auf hatte man mir gesagt, daß ich eine einnehmende Bildung hätte. Als ein Kind von fünf bis sechs Jahren wurde ich immer von erwachsenen Personen geliebkoset, und als ein Knabe von 10 bis 12 Jahren, und so fort, von meinen Mitschülern. Dieses, und der ganz entbehrte Umgang mit Personen vom andern Geschlechte, machte, daß sich bei mir die natürliche Zuneigung zum weiblichen Geschlechte von ihm ganz ablenkte, auf das männliche; und ich erinnere mich schon in meinem Knabenalter einige Mannspersonen recht zärtlich geliebt zu haben, da ich gegen Frauenzimmer auch noch jetzt ziemlich gleichgültig bin. Diesem Fehler, und dem zeitigen Erwachen der Empfindungen der Liebe, sind Knaben von einnehmender Bildung, wegen der Liebkosungen, die man ihnen erweist, leicht ausgesetzt, und Erzieher


reicher war als der meinige, als auch ein hoͤheres Amt bekleidete, obgleich mein Vater auch vom Stande der Gelehrten war. Dieser obwohl geringe Unterschied unter uns verstaͤrkte meinen Schwindel um vieles.— Und eben die noch groͤßere Ungleichheit des Standes, glaub ich, war die Ursache, warum der junge Mann —g, dessen Geschichte im ersten Stuͤcke des achten Bandes erzaͤhlt worden ist, zitterte, wenn er sich de Edelmann naͤherte, den er so leidenschaftlich liebte.

Gehe ich die Geschichte meines Lebens durch, so liegen mir die Ursachen dieser meiner Verirrung deutlich vor Augen. Von Jugend auf hatte man mir gesagt, daß ich eine einnehmende Bildung haͤtte. Als ein Kind von fuͤnf bis sechs Jahren wurde ich immer von erwachsenen Personen geliebkoset, und als ein Knabe von 10 bis 12 Jahren, und so fort, von meinen Mitschuͤlern. Dieses, und der ganz entbehrte Umgang mit Personen vom andern Geschlechte, machte, daß sich bei mir die natuͤrliche Zuneigung zum weiblichen Geschlechte von ihm ganz ablenkte, auf das maͤnnliche; und ich erinnere mich schon in meinem Knabenalter einige Mannspersonen recht zaͤrtlich geliebt zu haben, da ich gegen Frauenzimmer auch noch jetzt ziemlich gleichguͤltig bin. Diesem Fehler, und dem zeitigen Erwachen der Empfindungen der Liebe, sind Knaben von einnehmender Bildung, wegen der Liebkosungen, die man ihnen erweist, leicht ausgesetzt, und Erzieher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0105" n="105"/><lb/>
reicher war als der meinige, als auch ein ho&#x0364;heres                         Amt bekleidete, obgleich mein Vater auch vom Stande der Gelehrten war.                         Dieser obwohl geringe Unterschied unter uns versta&#x0364;rkte meinen Schwindel um                         vieles.&#x2014; Und eben die noch gro&#x0364;ßere Ungleichheit des Standes, glaub ich, war                         die Ursache, warum der junge Mann &#x2014;g, dessen Geschichte im ersten Stu&#x0364;cke des                         achten Bandes erza&#x0364;hlt worden ist, zitterte, wenn er sich de Edelmann                         na&#x0364;herte, den er so leidenschaftlich liebte.</p>
            <p>Gehe ich die Geschichte meines Lebens durch, so liegen mir die Ursachen                         dieser meiner Verirrung deutlich vor Augen. Von Jugend auf hatte man mir                         gesagt, daß ich eine einnehmende Bildung ha&#x0364;tte. Als ein Kind von fu&#x0364;nf bis                         sechs Jahren wurde ich immer von erwachsenen Personen geliebkoset, und als                         ein Knabe von 10 bis 12 Jahren, und so fort, von meinen Mitschu&#x0364;lern. Dieses,                         und der ganz entbehrte Umgang mit Personen vom andern Geschlechte, machte,                         daß sich bei mir die natu&#x0364;rliche Zuneigung zum weiblichen Geschlechte von ihm                         ganz ablenkte, auf das ma&#x0364;nnliche; und ich erinnere mich schon in meinem                         Knabenalter einige Mannspersonen recht za&#x0364;rtlich geliebt zu haben, da ich                         gegen Frauenzimmer auch noch jetzt ziemlich gleichgu&#x0364;ltig bin. Diesem Fehler,                         und dem zeitigen Erwachen der Empfindungen der Liebe, sind Knaben von                         einnehmender Bildung, wegen der Liebkosungen, die man ihnen erweist, leicht                         ausgesetzt, und Erzieher<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0105] reicher war als der meinige, als auch ein hoͤheres Amt bekleidete, obgleich mein Vater auch vom Stande der Gelehrten war. Dieser obwohl geringe Unterschied unter uns verstaͤrkte meinen Schwindel um vieles.— Und eben die noch groͤßere Ungleichheit des Standes, glaub ich, war die Ursache, warum der junge Mann —g, dessen Geschichte im ersten Stuͤcke des achten Bandes erzaͤhlt worden ist, zitterte, wenn er sich de Edelmann naͤherte, den er so leidenschaftlich liebte. Gehe ich die Geschichte meines Lebens durch, so liegen mir die Ursachen dieser meiner Verirrung deutlich vor Augen. Von Jugend auf hatte man mir gesagt, daß ich eine einnehmende Bildung haͤtte. Als ein Kind von fuͤnf bis sechs Jahren wurde ich immer von erwachsenen Personen geliebkoset, und als ein Knabe von 10 bis 12 Jahren, und so fort, von meinen Mitschuͤlern. Dieses, und der ganz entbehrte Umgang mit Personen vom andern Geschlechte, machte, daß sich bei mir die natuͤrliche Zuneigung zum weiblichen Geschlechte von ihm ganz ablenkte, auf das maͤnnliche; und ich erinnere mich schon in meinem Knabenalter einige Mannspersonen recht zaͤrtlich geliebt zu haben, da ich gegen Frauenzimmer auch noch jetzt ziemlich gleichguͤltig bin. Diesem Fehler, und dem zeitigen Erwachen der Empfindungen der Liebe, sind Knaben von einnehmender Bildung, wegen der Liebkosungen, die man ihnen erweist, leicht ausgesetzt, und Erzieher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/105
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/105>, abgerufen am 21.11.2024.