Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Sein Vater sprach hochteutsch und seine Mutter plattdeutsch, und daher kam es denn auch wohl, daß er mit seinem Vater hochteutsch und mit seiner Mutter plattdeutsch sprach. Seinen Vater redete er aber auch mit er, und seine Mutter mit du an. Letzteres, nehmlich das du, sollte er sich nun schon seit einem Jahre abgewöhnen, und seine Mutter auch in der zweiten Person anreden, aus der Ursache, weil er schon zu groß dazu sey, und es sich nicht mehr für ihn schicke du zu seiner Mutter zu sagen. Dies war ihm nun aber gar nicht möglich, und er mußte deshalb viel leiden, weil er doch immer daran erinnert und damit gequält wurde. Gerade aber jetzt war dies am schlimmsten, denn nun wurde ihm vorgehalten, daß er schon ein Knabe sey, der Schreiben lerne, und er deswegen höchst unverschämt gescholten. Aber auch gerade jetzt war es, da er ein Mittel fand sich das du zu seiner Mutter abzugewöhnen: denn nun sprach er mit seiner Mutter eine Zeitlang gar nicht, sondern schrieb alles was er ihr zu sagen hatte auf, da er sie dann in der zweiten Person anredete. Seinen Eltern gefiel dieser Einfall, und er gewöhnte sich das du in wenigen Wochen ab; denn da er nun so lange nicht mit seiner Mutter gesprochen, und sie immer schriftlich in der zweiten Person angeredet hatte, so war es ihm ein Leichtes, auf einmal Sein Vater sprach hochteutsch und seine Mutter plattdeutsch, und daher kam es denn auch wohl, daß er mit seinem Vater hochteutsch und mit seiner Mutter plattdeutsch sprach. Seinen Vater redete er aber auch mit er, und seine Mutter mit du an. Letzteres, nehmlich das du, sollte er sich nun schon seit einem Jahre abgewoͤhnen, und seine Mutter auch in der zweiten Person anreden, aus der Ursache, weil er schon zu groß dazu sey, und es sich nicht mehr fuͤr ihn schicke du zu seiner Mutter zu sagen. Dies war ihm nun aber gar nicht moͤglich, und er mußte deshalb viel leiden, weil er doch immer daran erinnert und damit gequaͤlt wurde. Gerade aber jetzt war dies am schlimmsten, denn nun wurde ihm vorgehalten, daß er schon ein Knabe sey, der Schreiben lerne, und er deswegen hoͤchst unverschaͤmt gescholten. Aber auch gerade jetzt war es, da er ein Mittel fand sich das du zu seiner Mutter abzugewoͤhnen: denn nun sprach er mit seiner Mutter eine Zeitlang gar nicht, sondern schrieb alles was er ihr zu sagen hatte auf, da er sie dann in der zweiten Person anredete. Seinen Eltern gefiel dieser Einfall, und er gewoͤhnte sich das du in wenigen Wochen ab; denn da er nun so lange nicht mit seiner Mutter gesprochen, und sie immer schriftlich in der zweiten Person angeredet hatte, so war es ihm ein Leichtes, auf einmal <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0114" n="114"/><lb/> <p>Sein Vater sprach hochteutsch und seine Mutter plattdeutsch, und daher kam es denn auch wohl, daß er mit seinem Vater hochteutsch und mit seiner Mutter plattdeutsch sprach. Seinen Vater redete er aber auch mit <hi rendition="#b">er,</hi> und seine Mutter mit <hi rendition="#b">du</hi> an. Letzteres, nehmlich das <hi rendition="#b">du,</hi> sollte er sich nun schon seit einem Jahre abgewoͤhnen, und seine Mutter auch in der zweiten Person anreden, aus der Ursache, weil er schon zu groß dazu sey, und es sich nicht mehr fuͤr ihn schicke <hi rendition="#b">du</hi> zu seiner Mutter zu sagen. Dies war ihm nun aber gar nicht moͤglich, und er mußte deshalb viel leiden, weil er doch immer daran erinnert und damit gequaͤlt wurde. </p> <p>Gerade aber jetzt war dies am schlimmsten, denn nun wurde ihm vorgehalten, daß er schon ein Knabe sey, der Schreiben lerne, und er deswegen hoͤchst unverschaͤmt gescholten. Aber auch gerade jetzt war es, da er ein Mittel fand sich das <hi rendition="#b">du</hi> zu seiner Mutter abzugewoͤhnen: denn nun sprach er mit seiner Mutter eine Zeitlang gar nicht, sondern schrieb alles was er ihr zu sagen hatte auf, da er sie dann in der zweiten Person anredete. Seinen Eltern gefiel dieser Einfall, und er gewoͤhnte sich das <hi rendition="#b">du</hi> in wenigen Wochen ab; denn da er nun so lange nicht mit seiner Mutter gesprochen, und sie immer schriftlich in der zweiten Person angeredet hatte, so war es ihm ein Leichtes, auf einmal<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0114]
Sein Vater sprach hochteutsch und seine Mutter plattdeutsch, und daher kam es denn auch wohl, daß er mit seinem Vater hochteutsch und mit seiner Mutter plattdeutsch sprach. Seinen Vater redete er aber auch mit er, und seine Mutter mit du an. Letzteres, nehmlich das du, sollte er sich nun schon seit einem Jahre abgewoͤhnen, und seine Mutter auch in der zweiten Person anreden, aus der Ursache, weil er schon zu groß dazu sey, und es sich nicht mehr fuͤr ihn schicke du zu seiner Mutter zu sagen. Dies war ihm nun aber gar nicht moͤglich, und er mußte deshalb viel leiden, weil er doch immer daran erinnert und damit gequaͤlt wurde.
Gerade aber jetzt war dies am schlimmsten, denn nun wurde ihm vorgehalten, daß er schon ein Knabe sey, der Schreiben lerne, und er deswegen hoͤchst unverschaͤmt gescholten. Aber auch gerade jetzt war es, da er ein Mittel fand sich das du zu seiner Mutter abzugewoͤhnen: denn nun sprach er mit seiner Mutter eine Zeitlang gar nicht, sondern schrieb alles was er ihr zu sagen hatte auf, da er sie dann in der zweiten Person anredete. Seinen Eltern gefiel dieser Einfall, und er gewoͤhnte sich das du in wenigen Wochen ab; denn da er nun so lange nicht mit seiner Mutter gesprochen, und sie immer schriftlich in der zweiten Person angeredet hatte, so war es ihm ein Leichtes, auf einmal
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