Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorzüglich lagerten sie sich oft am Abhange des Steigerwaldes, von welchem man die Stadt Erfurt mit ihren alten Thürmen, und ihrem ganzen Umfange von Gärten, kann liegen sehen. Hier hinauf gehen die Einwohner von Erfurt häufig spatzieren, machen sich auch wohl oben selbst ein kleines Feuer an, und kochen sich den Kaffe, um die patriarchalischen Jdeen wieder zu erneuern.

Hier saßen nun auch N... und Reiser oft Stunden lang, und lasen sich aus irgend einem Dichter wechselsweise vor; welches die meiste Zeit eine wahre Mühe und Arbeit, und ein peinlicher Zustand für sie war, den sie sich aber einander nicht gestanden, um nur am Ende die Jdee mit sich zu nehmen: "wir haben am Steigerwalde freundschaftlich beieinander gesessen, haben von da in das anmuthsvolle Thal hinuntergeblickt, und dabei unsern Geist mit einem schönen Werke der Dichtkunst genährt."

Wenn man erwägt, wie viele kleine Umstände sich vereinigen mußten, um das Stillsitzen und Lesen unter freiem Himmel angenehm zu machen, so kann man sich denken mit wie vielen kleinen Unannehmlichkeiten N... und Reiser bei diesen empfindsamen Scenen kämpfen mußten: wie oft der Boden feucht war, die Ameisen an die Beine krochen, der Wind das Blatt umschlug, u.s.w.

N... fand nun einen vorzüglichen Gefallen daran, Klopstocks Messiade Reisern ganz vorzulesen;


Vorzuͤglich lagerten sie sich oft am Abhange des Steigerwaldes, von welchem man die Stadt Erfurt mit ihren alten Thuͤrmen, und ihrem ganzen Umfange von Gaͤrten, kann liegen sehen. Hier hinauf gehen die Einwohner von Erfurt haͤufig spatzieren, machen sich auch wohl oben selbst ein kleines Feuer an, und kochen sich den Kaffe, um die patriarchalischen Jdeen wieder zu erneuern.

Hier saßen nun auch N... und Reiser oft Stunden lang, und lasen sich aus irgend einem Dichter wechselsweise vor; welches die meiste Zeit eine wahre Muͤhe und Arbeit, und ein peinlicher Zustand fuͤr sie war, den sie sich aber einander nicht gestanden, um nur am Ende die Jdee mit sich zu nehmen: »wir haben am Steigerwalde freundschaftlich beieinander gesessen, haben von da in das anmuthsvolle Thal hinuntergeblickt, und dabei unsern Geist mit einem schoͤnen Werke der Dichtkunst genaͤhrt.«

Wenn man erwaͤgt, wie viele kleine Umstaͤnde sich vereinigen mußten, um das Stillsitzen und Lesen unter freiem Himmel angenehm zu machen, so kann man sich denken mit wie vielen kleinen Unannehmlichkeiten N... und Reiser bei diesen empfindsamen Scenen kaͤmpfen mußten: wie oft der Boden feucht war, die Ameisen an die Beine krochen, der Wind das Blatt umschlug, u.s.w.

N... fand nun einen vorzuͤglichen Gefallen daran, Klopstocks Messiade Reisern ganz vorzulesen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0022" n="22"/><lb/>
            <p>Vorzu&#x0364;glich lagerten sie sich oft am Abhange des Steigerwaldes, von welchem                         man die Stadt Erfurt mit ihren alten Thu&#x0364;rmen, und ihrem ganzen Umfange von                         Ga&#x0364;rten, kann liegen sehen. Hier hinauf gehen die Einwohner von Erfurt ha&#x0364;ufig                         spatzieren, machen sich auch wohl oben selbst ein kleines Feuer an, und                         kochen sich den Kaffe, um die patriarchalischen Jdeen wieder zu erneuern. </p>
            <p>Hier saßen nun auch N... und Reiser oft Stunden lang, und lasen sich aus                         irgend einem Dichter wechselsweise vor; welches die meiste Zeit eine wahre                         Mu&#x0364;he und Arbeit, und ein peinlicher Zustand fu&#x0364;r sie war, den sie sich aber                         einander nicht gestanden, um nur am Ende die Jdee mit sich zu nehmen: »wir                         haben am Steigerwalde freundschaftlich beieinander gesessen, haben von da in                         das anmuthsvolle Thal hinuntergeblickt, und dabei unsern Geist mit einem                         scho&#x0364;nen Werke der Dichtkunst gena&#x0364;hrt.« </p>
            <p>Wenn man erwa&#x0364;gt, wie viele kleine Umsta&#x0364;nde sich vereinigen mußten, um das                         Stillsitzen und Lesen unter freiem Himmel angenehm zu machen, so kann man                         sich denken mit wie vielen kleinen Unannehmlichkeiten N... und Reiser bei                         diesen empfindsamen Scenen ka&#x0364;mpfen mußten: wie oft der Boden feucht war, die                         Ameisen an die Beine krochen, der Wind das Blatt umschlug, u.s.w.</p>
            <p>N... fand nun einen vorzu&#x0364;glichen Gefallen daran, Klopstocks Messiade Reisern                         ganz vorzulesen;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0022] Vorzuͤglich lagerten sie sich oft am Abhange des Steigerwaldes, von welchem man die Stadt Erfurt mit ihren alten Thuͤrmen, und ihrem ganzen Umfange von Gaͤrten, kann liegen sehen. Hier hinauf gehen die Einwohner von Erfurt haͤufig spatzieren, machen sich auch wohl oben selbst ein kleines Feuer an, und kochen sich den Kaffe, um die patriarchalischen Jdeen wieder zu erneuern. Hier saßen nun auch N... und Reiser oft Stunden lang, und lasen sich aus irgend einem Dichter wechselsweise vor; welches die meiste Zeit eine wahre Muͤhe und Arbeit, und ein peinlicher Zustand fuͤr sie war, den sie sich aber einander nicht gestanden, um nur am Ende die Jdee mit sich zu nehmen: »wir haben am Steigerwalde freundschaftlich beieinander gesessen, haben von da in das anmuthsvolle Thal hinuntergeblickt, und dabei unsern Geist mit einem schoͤnen Werke der Dichtkunst genaͤhrt.« Wenn man erwaͤgt, wie viele kleine Umstaͤnde sich vereinigen mußten, um das Stillsitzen und Lesen unter freiem Himmel angenehm zu machen, so kann man sich denken mit wie vielen kleinen Unannehmlichkeiten N... und Reiser bei diesen empfindsamen Scenen kaͤmpfen mußten: wie oft der Boden feucht war, die Ameisen an die Beine krochen, der Wind das Blatt umschlug, u.s.w. N... fand nun einen vorzuͤglichen Gefallen daran, Klopstocks Messiade Reisern ganz vorzulesen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/22
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/22>, abgerufen am 21.11.2024.